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  • vor 3 Tagen
Der deutsche NATO-Botschafter Géza Andreas von Geyr sieht die NATO anlässlich der Forderungen der USA an die Europäer, mehr für ihre Verteidigung auszugeben, nicht in einer Krise: "Es ist eine Herausforderung, mit der wir umgehen müssen, die uns zumindest in Teilen nicht überraschen darf," sagte von Geyr der DW.

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Transkript
00:00Vor 70 Jahren ist Deutschland der NATO beigetreten.
00:03Genauer gesagt war es nur Westdeutschland, denn das Land war zu diesem Zeitpunkt geteilt.
00:09Die DDR wurde Mitglied in einem anderen Militärbündnis, das von der Sowjetunion dominiert wurde.
00:15In den 70 Jahren ist viel passiert. Deutschland ist längst wieder vereint.
00:20Die Sowjetunion ist Teil der Geschichte.
00:22Und die NATO? Die NATO ist kontinuierlich gewachsen.
00:25Inzwischen hat die Organisation 32 Mitglieder.
00:29Sie gilt als das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Welt.
00:34Und dennoch, noch nie schien das Bündnis vor so großen Herausforderungen zu stehen, wie gerade jetzt.
00:40Von innen wie von außen.
00:42Wir hatten die Gelegenheit, über all das zu sprechen mit dem deutschen Botschafter bei der NATO, Geser Andreas von Geier.
00:50Herr Botschafter, 70 Jahre in der NATO, das ist natürlich ein rundes Jubiläum, das man ausgiebig feiern könnte.
00:55Aber man hat den Eindruck, dass hier im NATO-Hauptquartier niemand so richtig in Feierlaune ist, angesichts der großen Herausforderungen.
01:03Geben Sie uns einen Tipp. Wenn wir uns in einem Jahr hier nochmal treffen würden, gibt es die NATO dann noch?
01:11Selbstverständlich.
01:11Was macht Sie da so sicher?
01:14Die NATO hat schon viele Klippen umschifft.
01:18Sie ist zurzeit in einem schwierigen Fahrwasser, keine Frage.
01:24Sie ist von außen gefordert, durch die Weltlage, ganz besonders durch Russland und sein Gebaren.
01:32Sie ist auch von innen durchaus getestet.
01:34Das spürt man hier im Headquarter.
01:37Aber damit kann und wird und muss man umgehen.
01:40Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland vor 70 Jahren und der Beitritt zu NATO war innenpolitisch zu Beginn umstritten.
01:53Dann nach kurzer Zeit war die Mehrheit doch dafür. Warum?
01:56Ich denke, nach diesen Untiefen von Weltkriegen, Holocaust, hat Deutschland auch durch die Aufnahme in der NATO
02:12wieder einen Platz als angesehenes Mitglied der Völkergemeinschaft bekommen und auch wieder Verantwortung übernommen.
02:21Verantwortung für Sicherheit, für kollektive Sicherheit auf unserem Kontinent, der ja über Jahrhunderte von Kriegen geprägt war.
02:29Und das heißt, dass zumindest für den westlichen Teil unseres Landes, die Bundesrepublik Deutschland,
02:36sich verbunden hat, Frieden, Freiheit mit Sicherheit.
02:42Dafür auch selbst einstehen zu müssen, ist eine Selbstverständlichkeit heute.
02:51War damals eine Frage, die, wie Sie sagen, kontrovers diskutiert worden ist,
02:57die aber einen unglaublichen Sicherheitsgewinn gebracht hat.
03:02Natürlich hat es mitgebracht auch Verantwortung.
03:07Westdeutschland war ein Teil der NATO-Allianz, die DDR nicht.
03:13Ganz im Gegenteil, die DDR wurde Mitglied im Warschauer Pakt, der von der Sowjetunion dominiert wurde.
03:21Wie würden Sie das sehen, die NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik?
03:25War sie ein Hindernis oder eher ein Vorteil auf dem Weg zur Wiedervereinigung?
03:29Ich glaube, die Geschichte hat den Entscheidungen von damals recht gegeben.
03:36Wir haben gemeinsam mit den Alliierten für Frieden, Freiheit und Sicherheit gesorgt,
03:43in einem großen Teil oder auf einem großen Teil unseres Kontinents.
03:46Und konnten dadurch, eben auch dadurch, dazu beitragen, dass der eiserne Vorhang fiel.
03:56Und unser Kontinent, der ja geteilt war, sich wieder vereinigen konnte, unser Land, unsere Hauptstadt.
04:04Die Geschichte hat den Recht gegeben, so zu entscheiden, wie man entschieden hat.
04:10Gleichzeitig war das natürlich eine Zeit des Kalten Krieges, in der zwei Systeme bis an die Zähne bewaffnet sich gegenüberstanden.
04:21Risiken gab es auch damals, aber es gab auch das Bewusstsein, auf westlicher Seite für Frieden, Freiheit und eben Sicherheit einstehen zu müssen,
04:33auch im Blick auf eine mögliche Wiedervereinigung.
04:37Das war nicht aus dem Blick, sondern mit im Fokus.
04:40Die Sowjetunion war ja dagegen, dass Westdeutschland dem NATO-Bündnis beigetreten ist, so kurz nach dem Krieg.
04:47Sie fühlte sich bedroht dadurch.
04:50Und jetzt erleben wir ja schon seit längerer Zeit so eine ähnliche Situation,
04:54weil Russland immer wieder sagt, es fühlt sich von der NATO bedroht.
04:58Sie waren ja auch Botschafter in Russland.
05:01Können Sie das nachvollziehen, dass Russland dieses mächtige Bündnis vor seiner Haustür als Bedrohung für seine Souveränität ansieht?
05:10Also ich kenne nicht einen Quadratzentimeter russischen Territoriums,
05:18auf das die NATO oder NATO-Staaten Anspruch erheben würden in einer Art und Weise,
05:24dass die russische Föderation sich irgendwie bedroht fühlen müsste.
05:29Das gibt es nicht. Das ist mir übrigens auch in Moskau von niemandem erklärt worden.
05:33Der Grund des Gefühls, ich will jetzt gar nicht sagen Bedrohungsgefühls,
05:41sondern des Gefühls, das in Moskau herrschen mag, liegt, glaube ich, eher darin,
05:46dass man seine Nachbarn dominieren möchte und sich sorgt, dass diese Dominanz nicht funktioniert gegenüber Ländern,
05:57die ihre eigene Sicherheit vielleicht eher durch die kollektive Vereinigung oder Verteidigung in der Allianz gewahrt wissen wollen.
06:10Ich glaube, da ist das Problem. Wenn man seine Nachbarn dominieren möchte, statt sie zu überzeugen, dann muss man sich Sorgen machen.
06:22Nach dem Fall der Berliner Mauer gab es ein kurzes Zeitfenster in der Maschine, dass man die NATO nicht mehr bräuchte.
06:28Wäre es nicht besser gewesen, die NATO abzuschaffen und eine ganz neue Sicherheitsarchitektur für Europa zu kreieren?
06:40Die NATO abzuschaffen, ich denke, das wäre keinem wirklich eingefallen außerhalb vielleicht einiger Diskutanten in unserem Land.
06:55Wir waren ja das Land, das wieder vereinigt worden ist und da gab es wahrscheinlich gute Gründe, in alle Richtungen zu denken, zu analysieren.
07:05Aber ich glaube, dass die Idee, in Europa Verteidigung nicht national, sondern kollektiv zu gestalten
07:17und das alles auf demokratisch fundierter Basis, mit Konsensfindung, mit allem drum und dran,
07:25das ist ein Wert, der sich damals schon gezeigt hat, als der Schlüssel, um Frieden zu wahren auf einem Kontinent.
07:34Und ich will das schon nochmal sagen, das hat historische Tiefe.
07:38Das ist vorher Jahrhunderte nicht gelungen, wirklich Frieden zu wahren und diese Unmenge an Kriegen zu beenden,
07:47die unseren Kontinent geprägt haben, über Jahrhunderte hinweg.
07:52Kollektive Vereinigung in der Verteidigung, das ist im Grunde der Schlüssel zu Frieden auf unserem Kontinent.
07:58Jetzt wird aber Russland von den meisten Europäern im Bündnis als Bedrohung angesehen
08:05und Sie sind ja bei vielen Sitzungen dabei, wo es darum geht, die Verteidigung der Bündnispartner neu aufzustellen,
08:13die Pläne abzudaten. Wie empfinden Sie die Atmosphäre hinter den Kulissen?
08:19Die Atmosphäre ist ernsthaft, sie ist auch besorgt und sie ist gleichzeitig besonnen, aber sie ist auch entschlossen.
08:32Das sind so die Attribute, mit denen ich versuchen würde, diese Atmosphäre zu beschreiben.
08:38Die Realitäten haben uns gelehrt, 2022 mit dem Angriff, völkerrechtswidrig der Russischen Föderation,
08:50gegen den Nachbarn Ukraine, mit Ansprüchen auf ukrainisches Territorium,
08:54das man vorher eigentlich anerkannt hatte als ukrainisch.
08:59Aber vielleicht schon vorher auch, 2014, als man sich die Krim genommen hatte.
09:04Manche sagen auch schon vorher, 2008, Georgien.
09:08Die Realitäten haben uns gelehrt, dass Moskau bereit ist, Grenzen auf europäischem Territorium mit Waffengewalt zu verschieben.
09:19Hätte man damals schon entschiedener vorgehen müssen gegen Russland?
09:23In der Rückbetrachtung hätte man mehr Klarheit walten lassen können und möglicherweise auch müssen,
09:30aber die Rückbetrachtung ist einfach.
09:31Natürlich hat man versucht, mit anderen Mitteln, diplomatischen, wirtschaftlichen Mitteln zu handeln.
09:40Auch dort ist die Reaktion dann 2022 eine noch wesentlich entschiedene gewesen.
09:49Wir haben gelernt aus 2014.
09:51Ich wollte Sie eigentlich fragen, ob das Beispiel Deutschlands, das als geteiltes Land der NATO beigetreten ist,
09:59nicht so eine Vorbildfunktion haben könnte für die Ukraine, die ja auch Mitglied der NATO werden wollte,
10:05weil wir davon ausgehen, dass einige Gebiete da besetzt bleiben.
10:09Aber dieses Thema ist, wie es scheint, zumindest wenn es um die Einschätzung der amerikanischen Regierung geht, ganz vom Tisch.
10:18Ist es gänzlich vom Tisch?
10:21Also die NATO hat eine Position zu diesen Fragen und diese Position ist zuletzt fixiert worden beim Gipfel in Washington im Sommer vergangenen Jahres.
10:35Und da stehen wir ein für die territoriale Integrität der Ukraine.
10:42Nun ist niemand naiv und es ist klar, dass Gespräche geführt werden mittlerweile, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das hoffentlich Frieden bringen kann.
11:00Nur ein Frieden muss ein dauerhafter sein, er muss ein stabiler sein.
11:03Und die territoriale Integrität der Ukraine ist ein wesentlicher Faktor von langfristiger Stabilität und Dauerhaftigkeit eines Friedens.
11:16Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, das ist die Bedrohung von außen.
11:21Aber wenn man sich so anschaut, was wir so hören von der US-Administration unter Donald Trump,
11:28hat man den Eindruck, dass die NATO auch richtig unter Druck ist von innen.
11:32Würden Sie sagen, dass das die schlimmste Krise ist, in der das Bündnis sich befunden hat seit langem?
11:40Ich würde diesen Druck von innen jetzt nicht direkt Krise nennen,
11:45aber es ist eine Herausforderung, mit der wir umgehen müssen, die uns zumindest in Teilen nicht überraschen darf.
11:55Denn wir sind ja seit langem dabei zu überlegen, wie ein faires Burden-Sharing, eine faire Lastenteilung in der Allianz aussehen kann und sollte.
12:08Und bereits frühere amerikanische Präsidenten haben ja klargemacht,
12:14dass sich die Vereinigten Staaten aus strategischen Überlegungen mehr um den asiatischen Raum kümmern müssen
12:21und dadurch weniger Aufmerksamkeit dem europäischen Kontinent widmen können.
12:26Und ehrlich gesagt, 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist es legitim, von den Europäern zu erbitten,
12:36dass sie mehr der gemeinsamen transatlantischen Verteidigungslasten auf europäische Schultern nehmen.
12:42Also der Grundsatz ist einer, der uns eigentlich nicht überraschen kann.
12:45Jetzt kommt das mit Vehemenz und das fordert natürlich, das fordert aber zum gemeinsamen Analysieren und Überlegen.
12:55Aber was heißt das praktisch, dass die Europäer mehr machen sollen und wollen?
12:59In dieses Stadium müssen wir jetzt kommen. Wir müssen zu einem klaren Kommunikationsprozess kommen.
13:06Auch die amerikanische Seite ist ja dabei zu überlegen, was genau man vorhat.
13:13Unser Ziel ist es, das transatlantische Gemeinsame für die Sicherheit zu behalten
13:20und innerhalb dessen mehr Europa in die Konfigurationen der gemeinsamen Sicherheit zu bringen.
13:29Und da sind ja wichtige Schritte unternommen worden in letzter Zeit durch die Europäer in der Allianz.
13:36Wir haben alle unsere Verteidigungshaushalte erhöht. Das allein macht es noch nicht aus.
13:40Aber wir sind bereit, mehr Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, zu produzieren, zu kaufen, zu entwickeln.
13:45Da passiert sehr viel. Die Europäer in der Allianz, der europäische Pfeiler wird stärker.
13:52Das lässt sich ja nachvollziehen. Das wird aber auch eine Zeit lang dauern.
13:56Wir müssen Tempo aufnehmen.
13:58Die Europäische Union hat Pläne entwickelt, Entscheidungen getroffen, das zu unterstützen mit Maßnahmen,
14:05die der europäischen Rüstungsindustrie zugutekommen können.
14:09Sie kann da Akzente setzen. Das hilft dem Prozess.
14:12Und auch, dass viele bilaterale Miteinander von europäischen Ländern, Deutschland, Frankreich,
14:18Deutschland, Großbritannien, Deutschland, Polen, Deutschland, Niederlande und viele andere untereinander.
14:24Auch das ist ein wichtiges Geflecht.
14:26Das zeigt, dass die Europäer verstanden haben und dass sie jetzt Tempo machen,
14:33um selber mehr Verteidigungsfähigkeiten zur Verfügung zu stellen, im Anspruch, das weiterhin gemeinsam zu gestalten.
14:43Und ich glaube, dieses Mehr Europa in der Verteidigung der Allianz ist etwas, was man gut auch in Washington erklären kann.
14:52Aber gibt es da nicht die Gefahr, dass sich Parallelstrukturen entwickeln,
14:57dass man sich gegenseitig, die NATO und die EU möglicherweise, Konkurrenz macht?
15:01Also von einer Konkurrenz sind wir weit entfernt.
15:06Und die will und soll es auch gar nicht geben.
15:09Es geht eher darum, dass die Europäer in der Allianz nutzen ließen können,
15:15auch davon, was die Europäische Union an Akzenten setzen kann im rüstungsindustriellen Bereich.
15:20Das habe ich gesagt.
15:20Aber es geht schon auch noch ein Tick weiter.
15:28Wir müssen Verantwortung auch mehr übernehmen als Europäer.
15:34Ich glaube, der französische Staatspräsident hat mal von Able and Willing gesprochen.
15:39Auch am Willing müssen wir Europäer arbeiten.
15:42Und auch das tun wir.
15:43Und wenn sich die USA aus dem Bündnis zurückziehen sollten, ist die NATO dann obsolet?
15:49Also ich glaube nicht, dass sich die Amerikaner aus dem Bündnis zurückziehen werden.
15:56Sie sind Teil des Bündnisses.
15:59Und die Sicherheit, die das Bündnis geben kann, kommt auch den Vereinigten Staaten zugute.
16:05Es ist im europäischen Interesse und auch im Interesse der Nordamerikaner,
16:11der Vereinigten Staaten und Kanadas.
16:12Insofern glaube ich an so eine Situation nicht.
16:19Gleichwohl, die Allianz ist eine Allianz von 32.
16:24Nicht von einem und 31, sondern von 32.
16:27Dabei zwei nordamerikanischen Staaten, 30 Europäern.
16:32Und das gibt ja auch die Festigkeit.
16:35Botschafter von Geier. Vielen Dank.
16:37Gerne.
16:42.

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