Reise durch ein verschwindendes Land (Doku)

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Mai 1990. Unterwegs in die DDR. Wenige Monate nach der Maueröffnung und noch gut ein halbes Jahr vor der Wiedervereinigung bereiste der Dokumentarfilmer Reinhard Kungel mit seinem Team die (Noch-)DDR. In einem halben Jahr wird die Deutsche demokratische Republik endgültig Geschichte sein. Ein Roadmovie aus dem Dazwischen, aus dem Niemandsland zwischen Gestern und Morgen, Hoffen und Bangen, Ost und West. Auf einundzwanzig Bändern konservierten die Filmemacher damals den „Alltag in der Ostzone“: Eine Bestandsaufnahme mit eindringlichen Impressionen und ein packendes Portrait eines Landes, in dem sich gerade auch mit dem Abstand von fast drei Jahrzehnten vieles entdecken lässt, was sich damals der aktuellen Berichterstattung entzog.

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00:0018. Mai 1990, unterwegs in die DDR.
00:19Vor einem halben Jahr ist die Mauer gefallen.
00:23In einem halben Jahr wird es zur Wiedervereinigung kommen.
00:28Wir befinden uns dazwischen.
00:30Irgendwo im Niemandsland zwischen gestern und morgen, hoffen und bangen, Ost und West.
00:37Aus dem Autoradio dröhnen die Sputniks mit Gitarrenklängen aus dem wilden Osten.
00:43Dann die Nachricht, dass die DDR-Regierung den Vertrag zur Währungsunion mit der BRD unterzeichnet.
00:5717. Mai 1990. Ab diesem Tag konnte man ohne Visum die Grenze zur DDR passieren.
01:23Einen Tag später brachen wir den Osten auf.
01:31Wir hatten einen Auftrag und sollten einen Film über die neuen Bundesländer drehen.
01:36Trotz abgeschlossenem Medienstudium und einigen Auslandsdrehs waren wir noch recht unerfahren und vor allem billig.
01:44Und da ich die Ostzone ganz gut kannte, schickte man uns mit der Kamera nach drüben.
01:50Die DDR. Ein Land im Umbruch. Vor genau zwei Monaten fand hier die erste und letzte freie Volkskammerwahl statt. Mit überraschendem Ergebnis.
02:01Danach entfielen auf die CDU 40,9 Prozent der Stimmen. Auf die SPD 21,8.
02:09Wir wollen erreichen, dass die neuen Bundesländer dort schon bald wieder blühende Landschaften sein werden.
02:16Neu müssen wir zusammenkommen. Eine Neu-Vereinigung, nicht einfach eine Wiedervereinigung.
02:29Die mahnenden Worte Willy Brandts halten kaum nach. Was in Erinnerung blieb, war das Versprechen blühende Landschaften.
02:37Und genau das wollte auch unser Produzent. Schöne Bilder, blühende Landschaften.
02:43Na, wenn der mal gewusst hätte.
02:49Mich als Kameramann begeisterte damals eher die Möglichkeit, Bilder vom Alltag der Noch-DDR einzufangen.
02:56Vielleicht würde sich so eine Chance ja nie wieder bieten.
03:00Und so filmte ich beides. Die Idylle und all das, was mir merkwürdig erschien. Ein Glücksfall, die sich Jahre später herausstellen sollte.
03:13Über Leutenberg erreichten wir Saalfeld. Idylle pur. Das dürfte unserem Produzenten gefallen, hoffte ich.
03:23Im Gegensatz zu diesem Motiv, das ich trotzdem filmte. Es zeigt, wie tonnenweise Chemie auf die Äcker gesprüht wird.
03:31Das war übrigens schon in den 60er Jahren so, wie diese Aufnahmen meines Vaters belegen.
03:37Damals drehte sich ja alles um die Raumfahrt. Und so dachte ich als kleiner Junge, die Ostzone sei eine ferne Galaxie.
03:46Irgendwie war die DDR das ja auch. Doch dann, es war kurz nach der Mondlandung, durfte ich diese Galaxie kennenlernen.
03:53Meine Eltern nannten die Mission Verwandtschaftsbesuch.
03:57Das neue Jahrtausend liegt vor uns. Die Erde grüßt euch, Kosmonauten.
04:07Musik
04:21Gut in Erinnerung sind mir noch die endlosen Diskussionen der Erwachsenen. BRD kontra DDR. Warum ging es meistens?
04:30Im Westen war natürlich alles besser. Schon allein wegen der Autos. Wir Kinder fanden diese Streitgespräche manchmal ganz schön peinlich.
04:42Mit diesen Erinnerungen im Gepäck bereiste ich nun im Frühsommer 1990 die DDR.
04:48Die fette Bonzenkarre hatte man uns für diesen Dreh zur Verfügung gestellt.
04:53Und zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mir unter den kleinen Trabbis wie ein richtiger Kapitalist vor.
05:01Am Nachmittag erreichten wir die thüringische Kleinstadt Ilmenau.
05:07Ich dachte an die Vorgaben unseres Produzenten und schwenkte mit der Kamera den schönen Marktplatz und die idyllischen Seitenstraßen ab.
05:17Dabei waren die fliegenden Händler viel spannender.
05:21Die illegalen Straßenverkäufer sollten uns noch öfter begegnen.
05:25Neben billigen Uhren und technischem Krimskrams priesen sie vor allem Kleidung und Schmuck an.
05:33Und dann machten wir noch eine ganz neue Erfahrung. DDR-Städte haben ihren eigenen, sehr speziellen Klang.
05:54Weiter ging's in Richtung Weimar. Wir waren nicht alleine unterwegs. Zwischen all den Trabbis warteten bereits zahlreiche Westautos.
06:13Weimar ist ein Muss, sagte unser Produzent, wegen der Weimarer Klassik.
06:18Die Stadt mit ihrem reichhaltigen kulturellen Erbe war schon lange ein beliebtes Ausflugsziel auch westdeutscher Bildungsbürger.
06:26Doch nun kamen Busreisende und Pauschaltouristen hinzu, die alle sehen wollten, wo und wie die deutsch-deutschen Dichterfürsten lebten und liebten.
06:48Weimar sei berühmt für seine hochgeistige Literatur, stand in unserem Reiseführer.
06:58Die fliegenden Händler setzten mit ihren Druckerzeugnissen eher auf Bildsprache.
07:07In das Lebensgefühl der DDR eintauchen, das wollten wir. Und kauften für die Weiterfahrt eine Kassette mit sozialistischem Liedgut.
07:18Der Frühling zündet die Kerzen an, in den grünen Kastanienkronen. Und die Wiesen sind gelb von Nebenzahn und rot von Almenbogen.
07:40Am Abend tolt ein junger Wind und bläst in den Apfelblüten. Die schneien auf, wie die mürrisch sind und die in der Trübsal brüten.
08:00Die Erfurter Krämerbrücke. Treffpunkt der Punks, also der unzufriedenen DDR-Jugend.
08:09Sie kannten sich aus mit ihrer Brücke, die schon 1967 bis 73 für viel Geld rundum erneuert worden war.
08:16Interessanter, die Sache mit dem Auftrittsverbot.
08:20So untersagten DDR-Behörden beim Krämerbrückenfest 1979 auf dem frisch restaurierten Denkmal Bands wie etwa der Folkgruppe Liederlich einfach den Auftritt.
08:31Die Jugendlichen erzählten uns auch, dass selbst die Mutigen fortan Systemkritik nur noch zwischen den Zeilen übten.
08:39Was ja auch nicht ganz ungefährlich war. Viele gingen auf Nummer sicher und sangen gleich von Liebe, Glück und Tralala.
08:48Im Schlager waren DDR und BRD schon lange vor der Wende wieder vereint.
08:53Glück und Musik, Glück und Musik, Glück und Musik sind für alle da.
09:04Hörst du Musik, winkt dir das Glück, denn bei Musik sagen Herzen ja.
09:15Du bist so schön und auch allein, wie kann denn sowas möglich sein?
09:26Es sind so viele Tänzer hier und alle schauen sie nur nach dir.
09:36Du tragst ein, immer ein, ist dein Herz, ist dein Herz, denn er schlagt.
09:52Als ich am 18. Mai diese Aufnahmen drehte, verkündeten die Medien, der Rat des Bezirkes Erfurt habe zum letzten Mal getagt.
10:01Der Rat war auch für den Wohnungsbau zuständig.
10:06Während die Verantwortlichen in Erfurt den Bau von Plattenbausiedlungen forcierten, verfielen Teile der Altstadt immer mehr.
10:14Allein im Bezirk Erfurt mussten 4800 Wohnungen gesperrt werden. Ähnlich die Situation in Leipzig.
10:31Immerhin, für Mietwohnungen galt in der DDR ein genereller Preisstopp.
10:38Bei Altbauten etwa waren die Mietpreise auf dem Niveau von 1936 eingefroren.
10:44Für eine 40-Quadratmeter-Wohnung zahlte man nur 300 Mark. Im Jahr.
10:51Wohnen in der DDR war spottbillig. Wahrscheinlich fehlte es, wie hier in Leipzig, dann oft am Geld für die Instandhaltung.
11:00Dabei war Geld durchaus vorhanden, nur eben nicht gleichmäßig im Sinne des Sozialismus verteilt.
11:07Zehn Prozent der Konkurrenz in Leipzig war in der DDR.
11:12Die Mietpreise waren in der DDR nicht mehr so hoch wie in anderen Ländern.
11:18Die Mietpreise waren in der DDR nicht mehr so hoch wie in anderen Ländern.
11:23Nur eben nicht gleichmäßig im Sinne des Sozialismus verteilt.
11:27Zehn Prozent der Konteninhaber besaßen 60 Prozent der Geldvermögen.
11:33Auf 60.000 DDR-Konten wurden mehr als 100.000 Mark gehortet.
11:54Verwundert waren wir darüber, was uns die Eltern dieser Leipziger Kinder erzählten.
12:01So wurden die Kosten der täglich bis zu 13-stündigen Kinderbetreuung vom Staat bezahlt.
12:07Und verglichen mit der BRD gab es mehr Betreuungsplätze für Kinder und demzufolge auch mehr werktätige Frauen.
12:14All dies fand ich spannend und wollte es mit der Kamera festhalten.
12:20Auf der anderen Seite stand die Forderung unseres Produzenten nach blühenden Landschaften.
12:26Ein Spagat, der uns immer wieder in die Provinz zwang.
12:31Der Luftkurort Stollberg begeisterte mit einer geradezu idyllischen Wohnsituation.
12:37Ganz ohne Reklameschilder und fliegende Händler.
12:42Dass der Ort stolz war, konnte ich nachvollziehen.
12:46Aber dass sich dieser Stolz, laut Reiseführer, durch die bereits 1790 eingeführte Kartoffel erklärte, kam nicht.
12:53Zumal wir sie, also die Kartoffel, nie zu Gesicht bekamen.
12:58Wie sich überhaupt die Sache mit der Verpflegung auf dieser Reise als äußerst schwierig herausstellte.
13:04Warum? Weil viele der zumeist staatlich kontrollierten Gasthöfe den Laden längst dichtgemacht hatten?
13:11Weil sich Existenzgründer, die sich nicht mehr mit der Verpflegung konzentrieren,
13:16Weil viele der zumeist staatlich kontrollierten Gasthöfe den Laden längst dichtgemacht hatten?
13:21Weil sich Existenzgründer wegen der für den 1. Juli beschlossenen Währungsunion noch zurückhielten?
13:28Das DDR-Fernsehen klärte uns schließlich auf.
13:31Die Frage liegt seit Tagen in der Luft. Leere Regale in den Geschäften. Wer hält was, warum zurück? Wo bleibt die Ware?
13:38Der Einzelhandel schiebt es auf den Großhandel, der wiederum auf die Produzenten.
13:42Das Ergebnis, die Katze beißt sich in den Schwanz, Käuferfrust macht sich breit.
13:47Das ist der fünfte Laden nach Toilettenpapier, hier in der Halle habe ich es bekommen.
13:5340 Jahre Russenwirtschaft, das ist das Ergebnis davon.
13:57Man kommt von der Arbeit, möchte sich etwas zum Abendbrot kaufen und sie haben nichts in den Regalen.
14:03Und es soll noch einen Monat so gehen.
14:06Die zuständige Ministerin Sibylle Reider kennt die Frage seit Wochen und gab unter anderem folgende Erklärung.
14:12Ich kenne die Situation. Es sind überall Kapitalgesellschaften entstanden und irgendwas bleibt auf der Strecke.
14:19Ebenfalls heute informierte die Berliner Konsumgenossenschaft, dass aus ihrer Sicht eine stabile Versorgung nicht mehr möglich ist.
14:26Einiges bleibt auf der Strecke, wie wahr. In diesem Fall scheint es jeden, jedoch vor allem der Kunde.
14:31Und so fuhren wir mit unserer Bonzenschleuder auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit die Stolberger Gassen ab und den halben Tank leer.
14:54Benzin war immerhin keine Mangelware. Probleme gab es trotzdem.
15:00So zeigte sich die hochsensible Elektronik unserer Luxuskarre mit der Qualität des DDR-Benzins nicht einverstanden und drosselte rigoros die Motorleistung.
15:10Wir hatten davon freilich keine Ahnung und bemerkten lediglich, dass das Auto stotterte und nicht mehr schneller als Tempo 60 fuhr.
15:18Folge? Hupende Trabis, wütende Fahrer, wilde Überholmanöver.
15:29Auf der Suche nach einer fachkundigen Werkstatt geriet unsere Reiseroute immer mehr zu einem chaotischen Zickzackkurs.
15:36Und Telefonate in den Westen waren ja auch nicht so ohne weiteres möglich.
15:44Aber dann hatten wir eine Idee. Eisenach, das Zentrum des Automobilbaus in der DDR. Hier gibt es bestimmt Hilfe.
15:53Immerhin wurden in Eisenach bis zum Zweiten Weltkrieg BMW produziert. Und schon bald, 1992, sollten hier Opel-Modelle vom Band laufen.
16:04Zur Zeit unseres Eintreffens war es jedoch noch der Wartburg, den man im Schatten seiner Namensgeberin zusammenschraubte.
16:14Die Tücken westlicher Hochtechnologie. Zu allem Überfluss machte jetzt auch noch die angenietete Hightech-Kamera Probleme.
16:22Unsere Expedition durch den Wilden Osten stand plötzlich auf der Kippe.
16:33Wir fanden einfach keine Werkstatt. Weder für unsere Kamera noch für unser Luxusschiff. Niemand konnte uns helfen.
16:41Die Ossis, das hatte ich oft genug erfahren, waren Weltmeister im Improvisieren und Reparieren. Vorausgesetzt, die Technik war überschaubar.
16:57Glücklich, wer nur einen Baudenzug zu erneuern hat und sich nicht mit Mikroelektronik herumschlagen muss, dachte ich beim Drehen dieser Bilder.
17:16Und langsam begann ich, die DDR mit anderen Augen zu sehen.
17:20Hier blieb so manches erhalten, was im Westen längst verschwunden war.
17:24Wir haben über das Köstchen gesehen mit der Videokamera.
17:27Nein, keine Stöcke.
17:31Was kostet so ein Video-Kamera?
17:54Nein, keine Touristenattraktion, sondern landwirtschaftliches Produktionsmittel.
18:00In den LPGs werde noch richtig mit Pferden gearbeitet, erzählte uns ein LPG-Kutscher und fiel von einer Sekunde auf die andere in einen Tiefschlaf.
18:09Mai 1990. Die landwirtschaftlichen Betriebe der DDR sind in finanziellen Schwierigkeiten.
18:34Und so kümmern sich die Landwirte verstärkt um ihre persönliche Hauswirtschaft, die nicht größer als 0,5 Hektar sein darf.
18:54Vorbereitungen für den Winter. Die Kohlen sind da.
19:05Auch in der DDR lief nichts ohne Kohle. Drei Viertel aller Haushalte wurden damit beheizt.
19:13Dazu musste man das Brennmaterial täglich bis in die obersten Stockwerke tragen.
19:21Zu viel für unsere Kamera. Wenige Sekunden später gab sie ihren Geist auf.
19:35Wir benötigten dringend ein Austauschgerät vom Kameraverleih, aber wie immer gab es Probleme mit dem Telefonieren.
19:44Erst nach drei Stunden stand die Leitung und wir vereinbarten einen Kameratausch an der Grenze, sicherheitshalber auf BRD-Seite.
19:52Bei der Gelegenheit betankten wir auch unsere Bonzenkarre, die zu unserer Überraschung plötzlich nicht mehr stotterte.
20:06Auf der Rückfahrt hörten wir im Radio, dass im ersten Halbjahr 1990 etwa eine Viertelmillion Ossis nach drüben machten.
20:16Mit anderen Worten, mehr als 98 von 100 DDR-Bewohnern blieben im Land.
20:23Die fliegenden Händler freute es. Wir trafen sie inzwischen auch in der tiefsten Provinz an.
20:34Unter ihnen viele Vietnamesen, die offenbar ihren Job als Vertragsarbeiter verloren hatten.
20:40Der Hunger führte uns nach Parchim, einer kleinen Kreisstadt in Mecklenburg.
20:48Die Einheimischen schickten uns auf das Stadtfest. Dort bekämen wir sicher etwas zu essen, meinten sie.
20:54Doch statt der erhofften Bratwurst gab es nur Leierkassenmusik und Bonbons.
21:00Nach Parchim schickte uns die einstige Bratwurst, die wir besuchten.
21:05Die Bratwurst war etwa 50 Cent pro Stück, gehandelt von Bratwurst und Bratserences.
21:13Leider zog man sie in eine Kante und legte sie auf einen Stein.
21:18Im gleichen Haus in Parchim genielte zunehmend die Gewächsraum.
21:22Früh am nächsten Morgen ging es weiter nach Schwerin.
21:33Dort konnten wir erleben, wie eine typische DDR-Stadt erwacht.
21:52Vom Dom präsentierte sich uns eine DDR en miniatur.
22:01Wie lange wohl noch?
22:18Wir staunten nicht schlecht über die vielen Menschen,
22:21die noch richtig körperlich arbeiteten.
22:23Im besten machten gerade überall Fitnessstudios auf.
22:27Hier hatte man diese Modewelle offenbar gar nicht nötig.
22:51Wir hatten genug von Morgen, der Hunger führte uns wieder nach Süden.
23:06In Leipzig sollte es ja nur so wimmeln von fliegenden Händlern und Wurstbuden.
23:11Überraschenderweise kamen wir zügig voran, selbst in den Städten.
23:17Ampeln gab es wenige in der DDR.
23:20Nur für Polizisten, die mit tänzerischer Eleganz den Verkehr dirigierten.
23:50Wir Wessis hatten die Amis, die Ossis die Sowjets.
24:09380.000 Mann waren 1990 noch in der DDR stationiert.
24:14Wie lange noch, war nicht klar.
24:22Sowjetische Soldaten traf man tatsächlich überall an.
24:26Sie gehörten zum Bild der DDR.
24:29Ein Staat, den es bald nicht mehr geben würde.
24:33Die Soldaten aus dem Osten sollten erst 1994 verschwinden.
24:44In Leipzig, wo noch vor einem halben Jahr die Menschen die DDR zu Fall gebracht hatten, herrschten jetzt die Händler und Wurstverkäufer.
24:57Wobei es nach unserem Geschmack gerne hätten mehr sein können.
25:01Zwar ergriff die DDR-Regierung nun Maßnahmen gegen die Lebensmittelknappheit, doch die sollten erst im Juli in Kraft treten.
25:12In Leipzig schleppten wir uns hungrig vom Ratskeller zu Auerbachs Keller, wo ein bronzener Mephisto seinen Widersacher Faust durch sinnliche Genüsse zu verführen sucht.
25:26Doch statt einer Mahlzeit servierten uns hier wie dort arbeitsunwillige Kellner eine Lüge, in dem sie behaupteten, im menschenleeren Restaurant sei kein Tisch frei.
25:39Wir kochten, vor Wut.
25:43Doch dann hatten wir Glück. In einem Gewächshaus und später noch einmal in einer Schrebergartensiedlung servierte man uns und den anwesenden Familien mit ihren Kindern zum Nachtisch Striptease.
26:06Das kam damals regelrecht in Mode, wie diese Aufnahmen der berühmten DDR-Stripperin Heidi Witwer zeigen.
26:26Im Mai 1990 bekam man hier bereits so ziemlich alles. Man musste nur Geld und Geduld mitbringen.
26:37Noch eine ganz neue Erfahrung. Schlange stehen. Im Osten war man es ja gewohnt. Mich erstaunte die Engelsgeduld, mit der die Menschen der DDR überall warteten.
26:50Grundnahrungsmittel konnte man dank staatlicher Subventionen zu günstigen Preisen erwerben. Andere Nahrungsmittel wie Südfrüchte gab es bekanntermaßen selten oder gar nicht zu kaufen, wobei auch die Brötchen meist schon nach einer halben Stunde ausverkauft waren.
27:21Des Deutschen liebstes Spielzeug. In der DDR hatte man auf den Trabi 14 Jahre warten müssen. Ab März 90 wurde das Fahrzeug sofort geliefert. Allerdings wollte es dann niemand mehr haben. Viele verstanden die Welt nicht mehr.
27:40Warum wird der Trabant überhaupt noch produziert? Ja, warum? Warum produzieren wir noch Fleisch, Butter, Möbel? Warum produzieren wir überhaupt noch etwas? Sollten wir uns nicht einfacher von heute auf morgen zu einem einzigen erweiterten Absatzmarkt der Bundesrepublik erklären? Die Bauern sind da anderer Meinung und auch die Automobilbauer.
27:59Jubiläum heute in Mosel bei Zwickau und gleichzeitig Start ins moderne Automobilzeitalter. Der dreimillionste seit 1957 gebaute Trabant rollte vom Band. Der sächsische Automobilbau ist damit allerdings noch nicht aus der Krise.
28:13Hauptgrund, seit 01.12.89 durften PKW aus dem Westen eingeführt werden. Die fliegenden Autohändler mit ihren alten Westautos witterten ein großes Geschäft und boten auch noch die letzten Gurken an.
28:29Da bisher nur jeder zweite Haushalt über einen PKW verfügte, war die Nachfrage dennoch enorm.
28:43Als größten Kopfbahnhof und bedeutenden Handelsplatz im Herzen Europas pries unser Reiseführer den 1915 fertiggestellten Leipziger Hauptbahnhof an.
28:55Öffentliche Verkehrsmittel waren für alle da. Eine Fahrkarte der Deutschen Reichsbahn über 200 Kilometer im D-Zug kostete nur 19 DDR-Mark. Bezahlbare Preise. Auch für die vielen Straßenhändler.
29:14Die traf man hier zwar auch schon vor der Wende an, doch da die Kaufhäuser erst mit Einführung der DDR-Mark im Juli Westwaren erhalten sollten, kurbelte dies den Straßenhandel quasi Zug um Zug weiter an.
29:34Auch dank der vielen Vertragsarbeiter. Sie waren auch die ersten, denen nach dem Mauerfall gekündigt wurde.
29:41Schon kurios, dass nun ausgerechnet die sozialistischen Brüder und Schwestern aus Asien und Afrika die DDR mit moderner Technik und Citrusfrüchten versorgten.
29:54Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:10Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:17Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:24Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:31Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:35Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:40Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:44Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:48Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:52Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:56Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
30:59Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
31:03Leipzig im Frühsommer 1990. Eine ganze Stadt im Kaufrausch.
31:18Häuser und Bäume
31:18Häuser und Bäume
31:24Häuter und Bäume
31:26Turbulente Tage in Leipzig.
31:28Ich fragte mich, ob die Finanzbehörden vom Regenhandel
31:31wirklich nichts mitkriegten oder beide Augen zudrückten.
31:35Sehr gut.
31:37Für 80 Mark der DDR.
31:39Alle bunten Hosen bei uns.
31:4250 DDR-Mark. Die Westen 45.
31:44Hier was zum Kuscheln in der Nacht. 20 DDR-Mark.
31:47Was kosten die Zwerge?
31:4935.
31:5120.
31:53Ostmark oder Westmark?
31:55Westmark, Ostmark, Ostmark.
31:57Orient in Sachsen, titelte die Presse.
32:00Ein Witz machte die Runde.
32:03Wodurch unterscheidet sich die Leipziger Messe vom Schwarzmarkt?
32:07Auf der Messe gab es alles zu sehen, aber nichts zu kaufen.
32:11Auf dem Schwarzmarkt kann man nichts sehen, aber alles kaufen.
32:15Stellen Sie die Scheibenbindung nach oben.
32:18Wenn Sie zu Hause so weit sind, geht das.
32:21Vorwaschen, aufwaschen, glaspülen, weichspülen.
32:24So einfach und so schnell.
32:26Der Schwamm vorneweg schafft das Wasser auf.
32:29Und der Gummi hinterher trocknet.
32:32Über 4,300 Euro will der Schwarzmarkt kürzlich zufrieden sein.
32:36Und das Euler Länder in Sachsen.
32:38Am 10. Oktober wandert das Projekt aus der Stadt.
32:41Es wartet auf die Zukunft.
32:44Aus dem Tonrad ging der Schwarzmarkt in die Stadt.
32:47Nach den Reaktionen der Leipziger Merke lebt der Branche.
32:51Hier ist ein Kuh!
32:53Trotz des Fahrzeugs ist die Branche mit dauerhaft ausgetauscht.
32:57Schon beim Brachen von der Karte,
33:00Übersättigt vom Leipziger Allerlei erinnerten wir uns an die noch zu
33:05drehenden, blühenden Landschaften und machten uns auf den Weg nach Dresden.
33:09Elbflorenz, Besuchermagnet, Touristenattraktion. Unser Reiseführer überschlug sich nur so an
33:19Superlativen und die Erwartungen unseres Produzenten waren mindestens so hoch wie
33:24die Bauten der sächsischen Kulturmetropole. Dresden beeindruckte nicht nur uns. Hier
33:36traten sich mehr Wessis als Ossis auf die Füße. Inzwischen war ja der sogenannte
33:41Mindestumtausch aufgehoben worden. Wir machten uns an die Arbeit und filmten
33:47eine Sehenswürdigkeit nach der anderen ab. Hofkirche, Semperoper, Zwinger.
33:54Und was auf gar keinen Fall fehlen durfte, Pfundsmolkerei. Der schönste Milchladen der
34:05Welt. Nach der Arbeit räumten wir dann die halbe Käsetheke leer. Dresden,
34:12eine Stadt der Gegensätze. Auf der einen Seite die Prachtbauten der sächsischen Kurfürsten
34:18und Könige, auf der anderen Seite heruntergekommene Viertel wie die Neustadt.
34:23Und dazwischen, als Mahnmal gegen den Krieg, die Ruine der Frauenkirche.
34:45Ein Steinwurf weiter, das ebenfalls im Zweiten Weltkrieg zerstörte Residenzschloss.
34:53Da eine Dreherlaubnis nicht zu bekommen war,
35:02filmten wir heimlich in dem verfallenen Dornröschenschloss.
35:11Ob Erich Honecker seinen Landsleuten ein Märchen erzählen wollte,
35:15als er ihnen 1985 versprach, das Gebäude bis 1990 wieder aufzubauen?
35:23Oder fehlte es schlicht am Geld?
35:33Konsequent zeigten sich die Dresdner 100 Jahre früher beim Bau des Blauen Wunders.
35:38Drei Pfennig Brückengeld pro Fußgänger reichten, um die Baukosten schon nach
35:43wenigen Jahren wieder einzutreiben.
35:45Ein Blaues Wunder konnte man 1990 auch auf den Schiffen der Weißen Flotte erleben.
35:55Jedenfalls an Himmelfahrt oder Herrentag, wie man in der DDR zu sagen pflegt.
36:06Leutselige Elbefahrer erzählten uns, dass dieser Feiertag 1967 abgeschafft
36:11und nun zum ersten Mal wieder gefeiert werden dürfe.
36:14Auch die Brüder und Schwestern in der Sowjetunion würden heute feiern.
36:18Und zwar die Einführung der Marktwirtschaft.
36:28Was für ein Tag, der 24. Mai 1990.
36:32Herrentagspartie im Wiedervereinigungsrausch.
36:36Himmelfahrt auf dem Raddampfer.
36:42Fisch!
37:03Wir staunten über die Sangesfreude und Trinkfestigkeit der Herrentagsfahrer ebenso wie über die
37:08selbst handanlegenden Camper, die ihren Zeltplatz von Brennnesseln befreiten.
37:13Über Pirna kämpfte sich unser Raddampfer bei gut 30 Grad flussaufwärts in Richtung
37:39Elbsandsteingebirge.
37:44Wir flüchteten unter Deck, aber dort war es noch heißer, wegen der Kohle.
37:54Vom Heizer erfuhr ich, dass die DDR mit bis zu 300 Millionen Tonnen jährlich mehr Kohle
38:01förderte als jedes andere Land auf diesem Planeten.
38:04Eine ökologische Katastrophe, beschwor im Radio BRD-Umweltminister Töpfer am selben
38:17Tag herauf.
38:1830 Prozent der Wasserressourcen der DDR seien ökologisch tot.
38:32Darüber echauffierte sich sogar die beschwipste Herrentagspartie.
38:35Und Greenpeace schockierte die Öffentlichkeit mit der Meldung, die Elbe stinkt zum Himmel.
38:4825 Prozent der Industrieabwässer werden ungereinigt entsorgt.
38:53Auch das DDR-Fernsehen berichtete ausführlich darüber.
39:02Nach Dresden sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers unter ein Minimum von drei Milligramm
39:09pro Liter.
39:10Das Todesurteil für fast alle Fischarten.
39:13Zwei Wochen nach Fahrtantritt ein vorläufiges Resümee der Umweltschützer.
39:16Die Elbe ist der dreckigste Fluss Europas.
39:19Einige Kilometer flussabwärts die höchstbelasteten Abwässer entlang der gesamten Elbe, ungeklärt
39:27und unterirdisch vom Arzneimittelwerk in die Elbe geleitet.
39:30Was meinen die Arzneimittelwerker dazu?
39:32Das Problem ist, Anne, für sich da zu sehen, dass es ein umweltgerechtes Denken in der
39:39DDR als, naja, als Erscheinung einer breiten Bevölkerungsschicht nicht gibt.
39:46Weiter ging's nach Potsdam.
39:52Wer hätte jemals gedacht, dass hier auf Schloss Sanssouci Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem
40:02russischen Präsidenten Gorbatschow einmal Kirschbäumchen pflanzen würde?
40:06Oder dass russische Soldaten die Hymne »Ich will bei dir sein« der russischen Rockband
40:12»Nautolus Pompilius« zum Besten geben könnten?
40:42Es war Sommer, der letzte Sommer der DDR.
40:57Unsere Bonzenschleuder hatte uns doch noch ans Ziel unserer Reise gebracht.
41:02Endstation Berlin am Roten Rathaus.
41:05Und endlich gab es auch genug zu essen.
41:08An dem Tag, als sich diese Aufnahme drehte, am 31.
41:13Mai 1990, beschloss die Volkskammer, das DDR-Wappen abzuschaffen.
41:18Was hätte jetzt noch kommen können?
41:21Guten Abend, meine Damen und Herren.
41:23Der erste Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR zur Einführung der Wirtschafts-,
41:28Währungs- und Sozialunion ist seit Mitternacht in Kraft.
41:31Er bildet eine der wesentlichen Voraussetzungen für die deutsche Einheit.
41:35Das Bild des Tages, die D-Mark, ist da.
41:38Nach 45 Jahren fielen auch die Grenzen zwischen dem deutschen Westen und dem deutschen Osten.
41:43Zehntausend standen bis zu acht Stunden Schlange.
41:46Bereits eine Stunde nach Öffnung der Geschäftsstelle trugen Sanitäter erste Bewusstlose in das Gebäude.
41:52Eingequetschte erlitten hysterische Anfälle.
41:54Währenddessen begann im ersten Stock die Auszahlung von bis zu 2000 D-Mark pro Person.
42:01Zwei Uhr morgens.
42:03Die Polizei, anfangs mit vier Mann vor der Eingangstür, konnte die euphorischen,
42:08teils betrunkenen Massen nicht beruhigen und wurde kaum Herr der Lage.
42:11Andere wussten den Einstieg in die Währungsunion besser zu nutzen, sie feierten.
42:15Manche allerdings war schon recht bald satt.
42:18Von allem unberührt, die Königin der Nacht.
42:22Eine echte Blüte.
42:30Ausklang im Bierkeller.
42:33Noch hatten wir keine Ahnung von der Unzufriedenheit unseres Produzenten.
42:37Auf ihn wirkten die Bilder marode, der ganze Film zu deprimierend.
42:42Und so werden wir später etliche Alltagsszenen durch blühende Landschaften ersetzen müssen.
42:49Ein Glücksfall, dass die ihn so deprimierenden Aufnahmen dennoch überlebten.
43:07Aufnahmen von feiernden Menschen quer durch alle Schichten und Altersgruppen.
43:19Auch wenn sich Willy Brandts Wunsch einer neuen Vereinigung nicht konsequent umsetzen ließ,
43:24ist diesem Menschen doch etwas gelungen, was in der Geschichte ziemlich einmalig ist.
43:33Die Friedliche Revolution bereitete einer unliebsamen Herrschaft das Ende
43:38und schuf die Voraussetzung für die deutsch-deutsche Wiedervereinigung.
43:49Der letzte Sommer der DDR. Es geht zu Ende mit einem Land.
43:55Was die Zukunft bringen wird, wissen wir und die Menschen der DDR noch nicht.
44:18Untertitel der Amara.org-Community

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