Auf dem Bundesparteitag der Grünen wurden Franziska Brantner und Felix Banaszak zu neuen Vorsitzenden gewählt. DW-Reporter Jens Thurau sprach mit Banaszak über die Kanzlerkandidatur von Robert Habeck und die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine.
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NewsTranskript
00:00Herr Banaschak, erstmal herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum grünen Parteivorsitzenden. 93 Prozent, dass Sie gewählt werden würden, haben Sie sicher erwartet, aber 93 Prozent wahrscheinlich nicht, oder?
00:12Ich mache mir vorher meistens keine Prognose, dann ist man auch nicht enttäuscht, wenn es schief geht.
00:18Aber ich meine, ich bin ja auch ein Mensch und ich bin seit 15 Jahren in dieser Partei.
00:23Ich habe dieser Partei viel zu verdanken und dann auch so eine Rückmeldung zu bekommen, das macht mich natürlich auch glücklich.
00:29Es sind noch 100 Tage rund bis zur Neuwahl. Welche Akzente werden die Grünen setzen? Wird es hier um ein kritisches Fazit Ampel gehen?
00:38Oder welche Akzente wollen Sie jetzt allgemein als sozusagen unabhängige Partei setzen?
00:44Wir sind jetzt heute hier, um einen Neustart zu beginnen und jetzt nicht die Grünen sind plötzlich alles anders als vorher, sondern es ist eine neue Zeit, in die wir jetzt kommen.
00:53Wir verleugnen nicht, was in den letzten Jahren passiert ist und ich bin auch stolz auf das, was wir erreicht haben.
00:58Ich meine, wir haben die Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt. Robert Habeck und wir haben dieses Land durch die schwerste Energiekrise seit Jahrzehnten geführt.
01:08Niemand musste im Winter 22, 23 frieren, weil wir pragmatisch mit der Situation umgegangen sind.
01:13Wir haben das dann moderner gemacht und noch viel, viel mehr, aber auch vor. Und das ist, glaube ich, das, worum es jetzt geht.
01:18Wir treten jetzt nicht an, aus einer Koalition heraus in einen Wahlkampf zu gehen, sondern als Grüne.
01:24So wie wir sind, mit unseren Ideen, unseren Zielen, Kurs halten beim Klimaschutz, das Land bezahlbarer machen, dafür sorgen, dass man sich in den Großstädten die Miete noch leisten kann
01:33und auf dem Land auch mit dem ÖPNV von A nach B kommt, dafür zu sorgen, dass die Strompreise runtergehen und das ist das, worum es jetzt geht in diesem Land.
01:41Ist der Eindruck richtig, dass sich die Grünen jetzt gerade auch wegen der aktuellen weltpolitischen Situation alle Koalitionen offen halten,
01:50also mit der SPD, mit der CDU, der CSU, vielleicht auch der FDP, den demokratischen Parteien der Mitte, und dass die Grünen so offen für Koalitionen sind wie noch nie? Stimmt das?
02:01Man sieht jetzt ja in Brandenburg, Thüringen, Sachsen, wie schwierig das ist, Koalitionen zu bilden, wenn man vorher vor allem sagt, mit wem es nicht geht.
02:09Also wenn Demokratinnen und Demokraten in dieser Lage nicht mehr gesprächs- und grundsätzlich kooperationsfähig sind, dann geht ganz viel demokratische Kultur verloren.
02:18Deswegen nehme ich es nicht ernst, was einige um uns herum machen, die den ganzen Tag Ausschlüsse formulieren.
02:23Und umgekehrt mache ich auch keinen Koalitionswahlkampf. Ich will dafür sorgen, dass die Grünen so stark wie möglich werden.
02:28Und dann guckt man, was rechnerisch geht und was politisch geht.
02:31Aber ich habe in Nordrhein-Westfalen 2022 einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag ausgehandelt.
02:36Aber ich habe das ja nicht gemacht, weil ich das Programm von Henrik Wüst so toll fand, sondern unseres.
02:41Und wer weiß, wer er ist und was er will, der muss auch keine Angst vor Gesprächen mit Leuten haben, die ganz woanders stehen.
02:47Robert Habeck ist der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl oder wird der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl.
02:53Wird er auch ein Kanzlerkandidat oder ist diese Unterscheidung eigentlich nur was für Journalisten und viel zu detailmäßig?
03:01Er ist unser Kanzlerkandidat, aber es ist halt keine breitbeinige Kanzlerkandidatur, die sagt so wie Gerhard Schröder, ich rüttel hier am Zaun, ich will hier rein, weil es um mich geht.
03:11Es ist ein Angebot an dieses Land, darüber zu entscheiden, wer wir sein wollen, wohin wir gehen wollen.
03:17Und es ist ein Angebot rauszukommen aus der Polarisierung.
03:20Robert Habeck ist ein Brückenbauer, jemand, der es schafft, Menschen zusammenzubringen, an einen Tisch zu setzen und so lange miteinander zu sprechen, bis man eine gemeinsame Lösung hat.
03:28Und das ist ein starkes Angebot in dieser Zeit und deswegen machen wir das auch.
03:33Luisa Neubauer, ich nenne sie mal die bekannteste deutsche Klimaaktivistin, um das einfach mal irgendwie so abzukürzen,
03:39hat hier nochmal appelliert an die Grünen, das Thema Klima nach wie vor dorthin zu stellen, wo es ihrer Meinung nach hingehört, ganz nach vorne.
03:46Sie haben gerade die vielen Baustellen im Lande erwähnt, Wohnungsnot, es gibt Personalmangel, die Infrastruktur ist kaputt.
03:54Welche Rolle wird der Klimawandel spielen in der kurzen Zeit des Wahlkampfes für die Grünen?
04:00Wir müssen Kurs halten beim Klimaschutz und wir müssen Klimaschutz fair und gerecht machen, sodass er für alle funktioniert.
04:06Und das ist das, worum wir jetzt auch in den Wahlkampf gehen.
04:09Ich meine, es ist doch absurd. Vor ein paar Jahren haben alle unsere Mitbewerber so getan, als würden sie sich auch für Klimaschutz interessieren.
04:14Davon ist nichts mehr übrig. Wir sind die Einzigen, die sich noch damit beschäftigen.
04:18Aber die Klimakrise, die endet ja nicht oder die hört ja nicht auf, immer weiter zu gehen, nur weil niemand mehr darüber redet.
04:25Aber wir werden weiter darüber reden, weil wenn wir jetzt jedes Jahr, jedes Jahr im Sommer Dürren oder Unwetter oder Überschwemmungen oder alles drei haben,
04:34dann ist das doch ein Signal, dass wir was ändern müssen.
04:37Und das wird auch im nächsten Jahr eine große Rolle spielen müssen und wir werden es dafür dazu machen.
04:43Kommen wir mal zu den beiden hauptsächlichen außenpolitischen Themen, dem Krieg in der Ukraine und dem Krieg im Nahen Osten.
04:50Vom Nahostkrieg ist hier wenig die Rede. Können Sie mir erklären, warum?
04:54Also dieses Land beschäftigt sich ja mit kaum einer Region so intensiv wie mit dem Nahen Osten.
05:00Und manchmal hat man das Gefühl, viele sehen gar nicht, dass im Sudan unzählige Menschen gerade sterben.
05:06Die dramatische Lage im Jemen findet kaum statt in der Öffentlichkeit.
05:10Aber natürlich beschäftigt uns auch die Situation im Nahen Osten.
05:14Ich meine, Deutschland hat eine historische Verantwortung, aus der eigenen Geschichte heraus dafür zu sorgen,
05:20dass Israel als jüdischer und demokratischer Staat aber eben beides eine Zukunft hat und sicher ist und sich verteidigen kann.
05:28Und in dieser Hinsicht stehen wir unverbrüchlich auch an der Seite Israels.
05:32Und klar ist auch, wir sind eine Menschenrechtspartei und das humanitäre Völkerrecht, das muss auch eine Rolle spielen.
05:38Und deswegen ist ja Annalena Baerbock auch nicht nur auf Freundschaftstour unterwegs,
05:44sondern sagt auch, was unsere Erwartung an die Kriegsführung der israelischen Regierung ist und wo die auch nicht erfüllt werden.
05:52Aber natürlich, ich meine, diese Partei kommt aus einer außenpolitischen Tradition, aus einer Tradition der globalen Gerechtigkeit.
05:58Uns lässt nicht kalt, was vor unserer Haustür passiert und wir beschäftigen uns damit.
06:03Kommen wir vielleicht mal zur Ukraine.
06:05Ist der Eindruck richtig, dass die Grünen jetzt gerade als unabhängige Partei losgelöst von möglichen Kompromissen,
06:12die man in der Ampel hat machen müssen, Taurus-Lieferungen zum Beispiel, die der Kanzler ja immer abgelehnt hat,
06:18dass die Grünen jetzt von allen demokratischen Parteien in Deutschland diejenigen sind,
06:22die die Ukraine militärisch, auch militärisch am stärksten unterstützen wollen?
06:27Ich glaube, man muss sich klar machen, dass die Unterstützung der Ukraine keine Wohltätigkeitsveranstaltung ist.
06:33In der Ukraine entscheidet sich, ob die Friedens- und Sicherheitsordnung, von der Deutschland profitiert,
06:40auf der unsere Sicherheit aufbaut, eigentlich eine Zukunft hat oder nicht.
06:44Denn wenn es jetzt normal ist, dass Staaten gewaltsam Grenzen verschieben können,
06:48dann herrscht halt nicht mehr die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren.
06:52Und deswegen ist das, was wir tun, die Suche nach Frieden.
06:56Ich bin geprägt von den Kriegserinnerungen meiner Großeltern.
06:59Die haben jeden Tag darüber gesprochen.
07:01Und ich will nichts sehnlicher, als dass wir nie wieder auf deutschem Boden Krieg erleben.
07:06Aber es ist nicht die vermeintliche Besonnenheit, die einige anführen,
07:10die uns davor schützt, selbst in diese Situation reingezogen zu werden.
07:14Sondern es ist an dieser Stelle die Unterstützung der Ukraine gegen einen imperialen Aggressor.
07:20Wir wollen Frieden. Aber es ist ein Irrtum, dass der Frieden entsteht,
07:23indem man sich vor einem solchen Aggressor in den Staub wirft.
07:26Und deswegen, ja, wir stehen für Frieden in Freiheit.
07:31Wir stehen dafür, dass Deutschland und Europa für die eigene Sicherheit auch mehr tun müssen.
07:37Und das wird auch ein Thema in den nächsten Wochen und Monaten sein,
07:40weil dieses Land darüber diskutieren muss, wie es eigentlich mit einer neuen Bedrohungslage umgehen will.
07:45Und unser Vorschlag ist, das nicht naiv zu tun.
07:48Letzte Frage von meiner Seite.
07:50Hier während des Parteitags der Grünen hat die Nachricht der Runde gemacht,
07:53dass der Bundeskanzler nach langer Zeit wieder mit Wladimir Putin gesprochen hat, telefoniert hat.
07:58Donald Trump behauptet, das in wenigen Tagen lösen zu können mit dem Krieg.
08:03Auf was stellen sich die Grünen, was stellen Sie sich jetzt ein,
08:07was jetzt konkret in den nächsten Wochen und Monaten in der Ukraine geschehen könnte?
08:11Herr Wladimir Putin lässt ja keinen Zweifel daran, dass für ihn Verhandlungen nur auf Basis davon passieren,
08:18dass die Ukraine relevante Teile ihres Territoriums an Rüssland abgibt.
08:22Und das ist keine Bedingung, die der Westen, die Deutschland einfach akzeptieren können.
08:26Und es wird jetzt umso mehr auf uns ankommen und auf Europa, auf ein geeintes Europa,
08:32dieser Aggression auch entschlossen sich entgegenzustellen.
08:35Die USA werden nicht mehr stärkster Unterstützer eventuell sein.
08:39Aber noch mal, es geht hier nicht um...
08:42Also es geht natürlich auch um die Ukrainerinnen und Ukrainer.
08:45Ich meine, das ist doch eine bestialische Situation, in der sie da leben.
08:49Aber es geht auch um unsere eigene Sicherheit.
08:51Und wir werden als Grüne unsere eigene Sicherheit nicht einem kurzfristigen Opportunismus opfern.
08:57Herzlichen Dank für das Interview, Herr Banaschak.