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Die Ukraine steht vor großen Herausforderungen: zerstörte Infrastruktur und ein Mangel an Soldaten und westlicher Hilfslieferungen. Militärexperte Oberst Markus Reisner erklärt die aktuelle Lage und was Europa tun kann, um der Ukraine zu helfen.

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Spaß
Transkript
00:00Wir sind aus meiner Sicht immer noch in einem Schockzustand und haben eigentlich noch gar
00:04nicht verstanden, was uns gerade passiert ist.
00:06Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat die USA uns den Spiegel vorgehalten und wir
00:11haben gesehen, wir haben wirklich keine Hose an.
00:13Es ist leider genauso, dass wir hier wieder im 19.
00:16Jahrhundert sind.
00:17Das heißt, wer einfach mehr Macht hat, wer mehr in der Lage ist, militärische Macht
00:20zu produzieren, gibt den Ton an.
00:21Herr Reißans ist in einer breiteren Öffentlichkeit über Österreich hinaus bekannt als jemand,
00:25der den Krieg in der Ukraine sehr gut analysiert und auch besonders gut erklären kann.
00:30Aber seit der Amtsübernahme von Donald Trump sehen wir, dass das Umfeld, in dem dieser
00:36Krieg in der Ukraine stattfindet, sich radikal verändert hat und viele stellen sich auch
00:42die Frage, was das für uns und unsere eigene Sicherheit bedeutet.
00:45Diese drei Themen würde ich heute gerne mit Ihnen besprechen, also die aktuelle Lage nach
00:49dem russischen Angriff auf die Ukraine, das internationale Umfeld und auch ein bisschen,
00:53was wir in Europa, in Österreich damit tun können.
00:55Anfangen möchte ich mit dem ersten Punkt, wenn wir uns heute die Lage an der Front in
01:00der Ukraine anschauen, wie dramatisch ist die Gefahr, wie dramatisch ist die Lage für
01:06die Ukraine?
01:07Also zuerst einmal herzlichen Dank, dass Sie quasi extra nach Wiener Neustadt gekommen
01:11sind an der Militärakademie und mir die Zeit und das Vertrauen geben, kurz zu diesen Themen
01:15vorzutragen und gleich, um es konkret zu machen, fangen wir mit der Situation in der Ukraine
01:19an.
01:20Ich unterteile immer die Herausforderungen, die sich hier stellen für beide Seiten in
01:26die sogenannte strategische Ebene, die operative und die taktische Ebene.
01:30Was meine ich damit?
01:31Auf der strategischen Ebene müssen wir berücksichtigen, dass die Ukraine seit drei Jahren unter schweren
01:35russischen Luftangriffen leidet, die also dazu geführt haben, dass die kritische Infrastruktur
01:39der Ukraine zu 80 Prozent zerstört oder beschädigt ist.
01:44Entgegen allen Annahmen hat die Ukraine es aber geschafft, diesen Winter relativ gut
01:48zu überstehen.
01:49Das ändert aber nichts daran an den hohen Beschädigungen, die von der russischen Seite
01:51erreicht worden sind.
01:52Und hier ist nämlich das Dilemma, dass die Ukraine faktisch eine funktionierende kritische
01:56Infrastruktur braucht, um theoretisch einen Krieg auch lange führen zu können oder durchhalten
02:00zu können.
02:01Das ist etwas, was wir oft vergessen und das kann man also auch nur verbessern, indem
02:04man zum Beispiel mehr oder massiver Luftabwehrsysteme in die Ukraine liefert.
02:08Auf der operativen Ebene sehen wir die Situation so, dass die Russen an mehreren Stellen einer
02:13sehr, sehr langen Front angreifen.
02:15Wir sehen also die lange Front von Saborische bis nach Kubiansk mit fast 1.100 Kilometern
02:21und wir sehen die beiden Abschnitte bei Kharkiv mit ca. 100 bis 150 Kilometern und bei Kursk
02:25mit ebenfalls ca.
02:26100 bis 150 Kilometern.
02:27Und an all diesen Stellen muss die Ukraine mit Soldaten dagegenhalten und hier hat sie
02:31zwei Herausforderungen.
02:32Das eine ist die Versorgung mit Munition, Ausrüstung und Gerät, wo vor allem die westlichen
02:37Hilfslieferungen entscheidend sind, weil die Ukraine kaum in der Lage ist, selbst zu produzieren
02:41– Stichwort kritische Infrastruktur.
02:43Aber auf der anderen Seite ist es auch die Verfügbarkeit von Soldaten, denn natürlich
02:47nach drei Jahren ist das Wehrpotenzial der Ukraine schon sehr angegriffen.
02:52Das heißt, die Ukraine steht jetzt gerade vor der großen Frage, soll sie jetzt quasi
02:55auch die 18- bis 25-Jährigen rekrutieren.
02:58Warum ist diese Frage so wichtig?
03:00Weil die Verbände, also zum Beispiel ein Bataillon, das hat so ca.
03:03500 Mann, schon sehr ausgedünnt sind.
03:04Das heißt, von diesen 500 Mann sind oft nur mehr 150 bis 200 vorhanden und das bedeutet
03:09auf dieser langen Front, dass immer mehr Lücken entstehen und gerade durch diese Lücken können
03:13die russischen Soldaten quasi durchstoßen.
03:16Damit bin ich bei der taktischen Ebene und da ist die Situation die, dass die Russen
03:20zwar die Übermacht haben, zum Beispiel bei Artillerie und anderen Gerätschaften, aber
03:24die Ukraine, die ja sehr innovativ kämpft und auch sehr innovativ Technologien einsetzt,
03:29schafft es zum Beispiel durch den Einsatz von Drohnen, vor allem von sogenannten Angriffsdrohnen,
03:34gerade in diesem untersten gefechtstechnik-taktischen Bereich, die Russen immer noch auf Distanz
03:38zu halten oder ihnen große Verluste beizubringen.
03:41Das ändert zwar nichts daran, dass die Russen das Momentum haben und langsam vormarschieren,
03:44aber die Ukraine kann faktisch das ein bisschen moderieren im Wesentlichen.
03:47Aber alle drei Bereiche, alle drei Ebenen im Moment stellen sich zu Ungünsten der Ukraine
03:52dar und hinzu kommt jetzt die politische Situation, die natürlich sehr geprägt ist von dem,
03:57was wir sehen seit der Inauguration von Präsident Trump.
03:59Sie haben gesagt, es stellt sich ungünstig für die Ukraine dar.
04:02Wie ungünstig ist das?
04:03Das bedeutet, dass das die Frontenwagen zusammenbricht oder bedeutet das, dass die noch bis zum Sommer
04:08durchhalten können.
04:09Naja, die Ukraine hat in den letzten drei Jahren gezeigt, dass sie schon mehrmals quasi
04:12faktisch als verloren gegeben wurde und sie das trotzdem geschafft hat, sich wieder aufzurappeln
04:16und einen entscheidenden Unterschied zu machen.
04:18Wenn wir diese drei Ebenen uns wieder ansehen, dann sieht man natürlich, dass die kritische
04:22Infrastruktur zerstört ist und eine Instandsitzung bedarf.
04:26Die Frage ist natürlich, kann die Ukraine das im Krieg machen?
04:28Das Zweite ist, wir sehen, dass die Fliegerabwehr einfach immer noch zu wenig ist.
04:31Wir haben also jetzt bereits die Situation, dass pro Nacht bis zu 200, manchmal sogar
04:36mehr russische Drohnen einfliegen zur Saturierung der Fliegerabwehr.
04:39Hinzu kommen die Angriffe alle 14 Tage mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen.
04:43Und wenn das so weitergeht und die Ukraine hier nicht unterstützt wird, ist der Abnutzungseffekt
04:47natürlich weitergehend, bis die Ukraine faktisch nicht mehr durchhalten kann.
04:50Vielleicht ganz kurz noch auf der operativen Ebene, selbe Situation, die Frage der Soldaten,
04:53wo sie auch sehen, dass der Zuruf da ist, ihr müsst also die nächsten mobilisieren,
04:57sonst geht sich das faktisch mit euren Verbänden nicht aus, weil die ja ausgedünnt sind und
05:01auf der gefechtstechnik-taktischen Ebene zwar einerseits die Möglichkeit der Ukraine
05:05dagegenzuhalten, aber auch hier nur dann, wenn natürlich die Ressourcen da sind und
05:08die kommen nicht nur aus der Ukraine selbst, sondern vor allem aus dem Westen.
05:11Und wenn das weiter funktioniert, dann ja, wenn es aber plötzlich aufhört, zum Beispiel
05:15aufgrund des Umstandes, dass Präsident Trump sagt, okay, wir stellen jetzt die Lieferungen
05:18ein, dann wird es natürlich knapp und dann kann es sehr schnell gehen.
05:21Dann kann es auch einen Dammbruch geben, der vielleicht dazu führt, dass die Front nachgibt
05:25und also alles Richtung Westen zurückflutet.
05:27Für uns im Westen herrscht der Glaube und US-Präsident Trump hat das ja Anfang der
05:32Woche wieder gesagt, wenn wir unsere Lieferungen einstellen, dann kann der Krieg sehr schnell
05:37zu Ende sein.
05:38Jetzt können wir, reden wir in Europa drüber, was machen wir, wenn die USA ausfallen?
05:42Hätten wir überhaupt die Technik, hätten wir die industrielle Kapazität, um das, was
05:47die USA dann möglicherweise nicht mehr liefern, aus Europa zu liefern?
05:50Ja, das Potenzial hätten wir, wir hätten also das industrielle Potenzial, wir hätten
05:54das ökonomische Potenzial, wir hätten auch das rüstungstechnologische Potenzial, aber
06:00es ist die Frage, ob der politische Wille dazu da ist, das auch umzusetzen, denn dieses
06:05Potenzial voll umfänglich zu nützen, würde natürlich bedeuten, dass man sehr, sehr viel
06:08Geld investieren müsste.
06:10Geld, das man in den knappen Staatsbudgets dann nicht verfügbar hat.
06:15Sie wissen, die Wirtschaft in Europa hat also momentan gerade die Herausforderung, dass
06:19sie sich also nicht so entwickelt, wie man das eigentlich vorgesehen hätte.
06:22Wir sehen auch, dass zum Beispiel Herausforderungen wie die Bekämpfung des Klimawandels und anderes
06:26große Ressourcen bedürfen.
06:28Und jetzt kommt quasi das Militär und sagt, naja, wenn wir jetzt quasi die Ukraine stützen
06:32wollen, dann müssen wir quasi für die Ukraine produzieren, aber auch selbst produzieren,
06:35weil wir haben ja selbst unsere Arsenale leer gemacht.
06:37Und das ist natürlich etwas, was die Politik nur sehr schwer hinunterschlucken kann, weil
06:42sie es ja der Bevölkerung erklären muss.
06:44Und an dieser Frage ist im Prinzip seit drei Jahren faktisch ein Prozess erkennbar mit einem
06:50Hin und Her, wo man sich bis jetzt nicht zu einer Entscheidung durchringen konnte.
06:53Das heißt, die Europäische Union mit den Möglichkeiten, die sie hat, produziert sehr
06:57wohl.
06:58Das muss bezahlt werden, aber tatsächlich von einer Kriegswirtschaft vollumfänglich,
07:02wie das Russland betreibt, kann man bei weitem noch nicht sprechen.
07:04Nicht einmal in den USA ist das der Fall übrigens.
07:07Sie analysieren die militärische Situation, aber Sie haben ja mal erzählt, durch Ihre
07:12Auslandseinsätze haben Sie auch ukrainische Offiziere kennengelernt, die bei diesen Einsätzen
07:18gemeinsam mit Ihnen gedient haben.
07:20Sie sind mit ihnen weiter in Kontakt.
07:23Wenn man davon ausgeht, dass die Ukraine militärisch nicht weitermachen kann im bisherigen Sinn,
07:28was machen Ihre Freunde, Ihre ukrainischen Offiziersfreunde dann?
07:32Die können ja nicht einfach aufgeben, vor allem, weil man ja weiß, was mit Vertretern
07:35der ukrainischen Staatsmacht in den russisch besetzten Gebieten passiert ist.
07:40Beziehungsweise, wenn Sie sich auch die Bilder ansehen von den ukrainischen Soldaten, die
07:43aufgrund der Gefangenen aus Tosche zurückkehren und den Zustand betrachten, in dem sie diese
07:47Soldaten befinden.
07:49Vielleicht kurz zur Einordnung für den Zuhörer.
07:52Ich hatte 2021 die Möglichkeit, als österreichischer Kontingentskommandant in Kosovo in meiner
07:56internationalen Funktion 70 Ukrainer unter meinem Kommando zu haben, darunter sechs Offiziere.
08:00Und mit denen habe ich sehr viel Zeit verbracht.
08:03Da haben sich sehr viele Kontakte ergeben, nicht nur durch diese Offiziere, sondern auch
08:06quasi dann entsprechend in der Ukraine selbst.
08:08Von diesen sechs sind bereits drei gefallen und einer ist vermisst.
08:11Und wenn Sie jetzt natürlich die Situation sich an das Front ansehen und Sie sprechen
08:16mit diesen, dann sehen Sie dort vor allem folgende Dinge.
08:19Sie sehen Ernüchterung, Sie sehen Resignation, Sie sehen Erschöpfung und Sie sehen auch
08:25Wut.
08:26Zum Teil Wut, auch auf den Westen, weil natürlich die Soldaten das Gefühl haben, man hat ihnen
08:30faktisch eine Karotte vorgehalten und jetzt, kurz am Ende, möglicherweise vor dem Ziel,
08:35wird ihnen diese weggezogen.
08:37Und jetzt steht plötzlich in Frage, dass die Ukraine aufgegeben wird und dass es keine
08:40der Dinge, die sie eigentlich erreichen wollte, von der EU-Präsidentschaft, von der NATO-Mitgliedschaft
08:45tatsächlich in greifbarer Nähe sind.
08:46Im Gegenteil, es kommt möglicherweise gerade zu einem Ausverkauf des Staates.
08:49Denken Sie an diesen Abbau der seltenen Erdentil, den die USA gerade auf den Tisch gelegt haben.
08:54Denken Sie an die Forderungen der Russen, die sagen, über das Gebiet, das wir bereits
08:58jetzt besetzt haben, hinausgehen, wollen wir noch andere Stücke der Ukraine herausreißen.
09:03Und das ist natürlich eine Stimmung, die sich dann rasch an der Front verbreitet und
09:08also keine ist, wo man davon ausgehen kann, dass die Moral weiter hoch ist.
09:12Trotzdem stehen die jeden Tag im Schützengraben und versuchen, die russischen Streitkräfte
09:17aufzuhalten unter Bedingungen, wo wir keinerlei Vorstellung haben, wie sich das darstellt.
09:22Bei uns im Westeuropa herrscht ja oft die Annahme, wenn wir aufhören, Waffen zu liefern,
09:28dann würden sich die Ukraine mit denen schon irgendwie einigen und wir würden irgendeine
09:31Form von Friedenslösung finden, Hauptsache die Kämpfe hören auf und die finden dann
09:35schon irgendeine Form von Koexistenz und die bleiben auch alle dort.
09:39Wenn Sie Ihre Analysen und Ihre persönlichen Kontakte hernehmen, ist das so?
09:43Wenn die aufhören zu kämpfen, ist dann Friede?
09:45Also der Punkt ist einmal, ich glaube, das Erste, was man hier verstehen muss, ist, dass
09:50natürlich es absolut nachvollziehbar ist, dass man sich danach sehnt, dass dieser Krieg
09:54ein Ende hat, denn dann würde das Sterben endlich aufhören.
09:57Die Frage ist nur, zu welchen Bedingungen dieser Krieg ein Ende hat und vor allem, welche
10:02Konsequenzen das dann hat für die ukrainische Bevölkerung.
10:04Was wir wissen ist, dass jene Teile, die unter russischer Besatzung leiden, gröbsten Verstößen
10:10gegen die Menschenrechte ausgesetzt sind.
10:12Das ist Fakt.
10:13Das ist auch einer der Gründe, warum es keine umfangreiche Aufstandsbewegung gibt in den
10:16von den Russen besetzten Gebieten aufgrund von Folter, Mord und anderen Dingen.
10:20Das Zweite ist, dass es verschiedenste Untersuchungen gibt, die auch ganz klar den Eindruck erwecken
10:26lassen, dass zum Teil das, was von den russischen Streitkräften in der Ukraine passiert, ein
10:31gewisses System hat.
10:32Zum Beispiel spricht man von einer systematischen Ermordung von ukrainischen Kriegsgefangenen
10:37durch die Russen.
10:38Das ist auch bildlich dokumentiert als solches.
10:40Aber es ist auch nicht nur bildlich dokumentiert, sondern es ist auch, weil sich manche Hörer
10:44jetzt vielleicht denken, das ist alles erfunden, das sind auch nicht nur Dinge, die Sie behaupten,
10:47sondern das sind auch Dinge, die durch entsprechende internationale Untersuchungen belegt sind.
10:51Ja, richtig.
10:52Da gibt es Berichte von der UNO und so weiter, die das sehr klar darstellen.
10:55Aber das ist ja auch einer der Aspekte der modernen Drohnenkriegsführung, dass die Drohnen
10:59uns ja diese Bilder faktisch in time überliefern.
11:02Sie sehen ja also, wie ukrainische Soldaten von russischen Soldaten zum Beispiel erschossen
11:06werden und Ähnliches im Wesentlichen.
11:07So, das heißt, auch die Alternativen für die Ukrainer sind also sehr überschaubar.
11:11Denn sie müssen ja damit rechnen, dass im Fall einer Gefangennahme sie diese gar nicht
11:14überleben als solches.
11:15Das heißt, trotz dieser Resignation, die man sieht, und auch der Frustration gegenüber
11:19dem, was der Westen zurzeit tut, ist es schon mal ein Eindruck, dass die Soldaten sagen,
11:23wir kämpfen weiter, weil welche Alternative haben wir im Wesentlichen.
11:27Und vor allem, was ist die Alternative, wenn dann im Endeffekt die Ukraine Teil Russlands
11:31ist, so wie das Russland ja vorsieht?
11:32Man hat ja sozusagen den Eindruck, dass es das Ziel der Russen ist, ein völlig devastiertes
11:37Glacis zu schaffen zwischen dem Westen und Russland, wo faktisch sich kein Leben mehr
11:42befindet.
11:43So scheint es ja, wenn man sich die Gebiete ansieht, wo also gekämpft wird.
11:45Bis Anfang Jänner gab es relativ klare Fronten.
11:49Es gab auf der einen Seite Russland mit seiner Verbündeten China, Nordkorea, und auf der
11:53anderen Seite die Ukraine, die zu wenig, aber doch immer Unterstützung bekommen hat
11:58aus Westeuropa, aus den USA, auch aus einer Reihe von ein paar anderen Ländern.
12:02Mit Ende Jänner spätestens ist alles anders.
12:06Die Versprechung, Ankündigung von Präsident Trump, dass am ersten Tag seiner Arbeitszeit
12:10Friede sein wird, ist schon verstrichen, das ist offensichtlich nicht passiert.
12:14Wie würden Sie denn in dieser sich wahnsinnig schnell, rasant ändernden Situation die aktuelle
12:20Rolle der USA einschätzen?
12:22Also versuchen wir das mit einer Metapher, denn oft ist es ja so, dass man eine komplexe
12:26Situation gerade durch den Vergleich dann relativ einfach erklären kann.
12:29Und aus meiner Sicht ist das möglich, indem wir diesen Kampf um die Ukraine mit einem
12:34Boxkampf vergleichen.
12:35Wir haben also zwei Kontrahenten, auf der einen Seite einen russischen Boxer und auf
12:40der anderen Seite einen ukrainischen, die sich hier im Ring gegenüberstehen.
12:42Und wir haben also gesehen, dass dieser Boxkampf mehrere Runden durchlaufen hat.
12:47Am Beginn des Kampfes war es so, dass der Russe eigentlich der Favorit war.
12:51Man hat also nicht damit gerechnet, dass der ukrainische Gegner hier überhaupt noch eine
12:54Chance hat, aber zur Überraschung aller hat der Ukrainer die ersten Runden dieses Kampfes
12:59für sich entschieden.
13:00Und hat also auch immer wieder es geschafft, wenn dann der Gong ertönt ist, beim Zurückgehen
13:04in die Ecke, dass er sich auffrischen konnte, um den Kampf wieder aufzunehmen.
13:08Wir haben ein Hin und Her gesehen in diesen Phasen des Boxkampfes.
13:10Wir haben aber gesehen, dass vor allem die Unterstützung nach Ende einer Runde ganz entscheidend
13:16war.
13:17Und das ist genau das Dilemma, das wir sehen.
13:18Wir sehen, dass auf der Zeitachse der russische Boxer offensichtlich die besseren Verbündeten
13:23hat, die besseren Ressourcen hat und versucht, den Ukrainer hier quasi durch die Ausdauer,
13:28die er selbst beweist, entsprechend in die Knie zu zwingen.
13:30Das heißt, wenn der Ukrainer nach dem Gong zurückgeht, dann findet er dort vor die Europäer
13:35mit guten Tipps, aber wenig in der Tasche und er findet die Amerikaner vor, die bis jetzt
13:39ihm immer unterstützt haben, die aber mittlerweile offensichtlich das Interesse verloren haben
13:42und gesagt haben, okay, wir gehen jetzt woanders hin, weil das interessiert uns nicht mehr.
13:45Der Russe hingegen geht zurück und trifft dort den Chinesen, den Inder, den Nordkoreaner,
13:52den Iraner und wechselweise den Türken oder andere, die ihn unterstützen.
13:55Und genau das ist das Dilemma, das wir jetzt sehen, dass in diesem Kampf faktisch über
13:59der Zeitachse die Russen immer mehr zum Favoriten werden und die Ukrainer quasi immer mehr ins
14:04Hintertreffen kommen.
14:05Wenn man sich die bisherige Motivation der Amerikaner, in diesem Konflikt aktiv zu sein,
14:09anschaut, gibt es eine ganze Reihe von Gründen dafür.
14:12Einerseits natürlich politisch hochhalten von Demokratie, Menschenrechten und so weiter,
14:16aber es war natürlich immer auch ein Aspekt, dass man gesagt hat, dass hier eine Abnützung
14:21der russischen Streitkräfte und der russischen Macht stattfindet.
14:23Inzwischen sieht man das in Washington offensichtlich anders.
14:27Wie würden Sie denn jetzt, sofern man das von außen überhaupt sagen kann, die Interessenslage
14:32der USA einschätzen?
14:34Es gibt natürlich zwei Unterschiede in der Administration von Biden und Trump.
14:38Das ist also einerseits die Art und Weise der Unterstützung, so wie wir sie sehen und
14:43auch das Verweisen auf das Völkerrecht und all die Rahmenbedingungen, die hier relevant
14:46sind und auf der anderen Seite natürlich den Umstand, wie sich das dann auch faktisch
14:50in der Rhetorik äußert.
14:52Und es sind also ein paar Aspekte, die vielleicht jetzt für den Zuhörer auf den ersten Blick
14:56gar nicht so erkennbar sind, die aber ganz wichtig sind.
14:58Das heißt zum Beispiel, am Beginn des Krieges konnte man erkennen, dass trotz aller Zusicherungen
15:03der US-Administration und der Präsident Biden, die Ukraine zu unterstützen, man doch nicht
15:09bereit war, gewisse Linien zu überschreiten.
15:12Es gab also diese berühmte Zuspitzung im Oktober 22, wo man vermutet hat, dass die
15:17Russen möglicherweise Nuklearwaffen einsetzen und das hat dazu geführt, dass es quasi faktisch
15:21hektische Verhandlungen gegeben hat, das mehr oder weniger mit in den Rahmen zu bringen.
15:26Das hat auch dazu geführt, in letzter Konsequenz, dass die USA immer den Lieferungen moderat
15:32vorgegangen sind, aber nie bis zum Äußersten gegangen sind.
15:34Das sieht man sehr schön, wenn man sich betrachtet die Lieferung verschiedener Waffensysteme
15:37oder Ähnliches.
15:38Wie dann die Präsidentschaft Biden geändert hat, hat man noch einmal versucht, zum Schluss
15:43die Ukraine in eine entsprechend gute Situation zu bringen für etwaige Verhandlungen.
15:48Denken Sie zum Beispiel an die Diskussion um weitreichende Waffensysteme und deren Einsatz
15:51in Kursk.
15:52Aber auch das hat sofort zu Reaktionen von russischer Seite geführt.
15:55Denken Sie an diesen Einsatz dieser Mittelsteckner-Rakete zum Beispiel.
15:59Wie dann die US-Präsidentschaft Trump begonnen hat, hat sich das erst einmal dahingehend
16:03radikal geändert, dass die Rhetorik eine völlig andere war und dass die Amerikaner
16:07ihr natürlich Trump an der Spitze ganz klar gesagt haben, was sie haben möchten.
16:11Ich gebe also nur ein Beispiel.
16:13Trump hat gesagt, für jeden Dollar, den wir investiert haben, möchte ich zwei zurück
16:17haben.
16:18Und es ist mir im Prinzip egal, wie die Situation endet, ich möchte, dass dieser Krieg rasch
16:21vorbei ist, weil ich muss mich um andere Dinge kümmern, nämlich zum Beispiel Amerika wieder
16:25great again zu machen, auf der einen Seite, um mich um den Pazifikraum zu kümmern, also
16:29um China im Wesentlichen.
16:30Und hier sieht man auch, dass sehr klar und rasch auf den Tisch gelegt worden ist, dieser
16:35Vertragsentwurf, wo die Ukrainer mehr oder weniger gezwungen wären, faktisch Ressourcen
16:39abzubauen, einen Abbau zuzulassen durch die USA.
16:42Das ist ja das, was jetzt theoretisch vielleicht am Freitag diese Woche noch unterschrieben
16:46wird oder auch nicht.
16:47Aber auch das ganz klar mit Hilfsreferenten zu verknüpfen, beziehungsweise auch die Frage
16:52der Sicherheitsgarantien, die bis jetzt ungelöst ist, wo man sieht, dass es das wesentlich
16:57verschlechtert hat für die ukrainische Seite.
16:59Die Tragik für uns Europäer ist, dass wenn die USA als einer der wichtigsten Verbündeten
17:05hier wegfallen, dann ist die Frage, die wir uns stellen müssen, was bedeutet das für
17:09uns?
17:10Sind wir bereit, die Ukraine so zu unterstützen, wie bisher, auch das zu kompensieren, was
17:15die USA bis jetzt gemacht hat, oder nicht?
17:17Das ist eine ganz zentrale und entscheidende Frage, die das Schicksal der Ukraine auch
17:21entscheiden wird.
17:22Und da haben wir momentan noch nicht klar erkennbar einen Richtungspunkt.
17:26Die Frage ist nämlich auch, wer sollte diesen Richtungspunkt gerade vorgeben?
17:29Auch US-Präsident Trump hat gesagt, die Europäer werden sich um die ukrainische Sicherheit
17:34kümmern, wobei unklar ist, was das bedeutet.
17:36Ein Szenario, das im Raum steht, sind Friedenstruppen, aber wie könnten Friedenstruppen in so einer
17:41Situation eigentlich ausschauen?
17:42Kann man sich das so vorstellen wie auf Zypern, dass es dann eine demilitarisierte Zone gibt,
17:47wo die ausländischen Soldaten durchfahren und schauen, dass keiner reinkommt, oder würde
17:52das ganz anders sein?
17:53Na gut, lassen Sie uns das ganz kurz ein bisschen aufzäumen, wie das sich im Prinzip darstellen
17:58könnte und vor allem, welche Faktoren hier ganz entscheidend sind, damit tatsächlich
18:02das auch eine nur auch geringe Chance auf Erfolg hat.
18:05Also, dazu muss ich jetzt ein bisschen ausholen, aber das ist doch ganz entscheidend für das
18:10Verständnis.
18:11Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf
18:15geeinigt, dass es den Krieg nicht mehr geben soll.
18:18Man hat den Begriff des Krieges durch den Begriff des Konflikts ersetzt und hat also
18:22einen Rahmen geschaffen, wie zum Beispiel durch die UN-Charta, die sehr genau definiert,
18:26wann darf Gewalt, zu welchem Zweck eingesetzt werden.
18:29Und natürlich hat es auch nach dem Zweiten Weltkrieg sehr rasch Konflikte gegeben mit
18:33dem Koreakrieg, Vietnam und so weiter und so fort, aber es war also immer so, dass zumindest
18:37der UN-Sicherheitsrat, auch damals in diesem Gleichgewicht der Kräfte zwischen der Sowjetunion
18:41und dem Westen, sich auf verschiedene Missionen zum Beispiel einigen konnte und das ist ganz
18:46entscheidend, denn diese Einigung war die Basis für ein sogenanntes Mandat für eine
18:51Mission.
18:52Das heißt, was dürfen die Soldaten tun?
18:53Ist es eine robuste Mission bis zur Friedensdurchsetzung oder Schaffung oder eine reine überwachende
18:58Mission, wie zum Beispiel das, was Sie gemeint haben, mit Zypern oder denken Sie an den Einsatz
19:02am Golan zum Beispiel über lange Zeit.
19:05Aber der Garant dafür, dass die Soldaten akzeptiert dort ihre Aufgabe erfüllen können,
19:09war, dass die Mächte des Sicherheitsrates dafür quasi entsprechend gerade gestanden
19:14sind.
19:15So, das hat sich aber aufgeweicht in den letzten Jahrzehnten und wurde ersetzt dadurch, dass
19:19es in vielen Missionen zu einer sogenannten Koalition der Willigen kam.
19:22Das heißt also zum Beispiel im Irak, im Kosovo, Libyen und so weiter und so fort, aber diese
19:26Koalition der Willigen hat vor allem deswegen funktioniert, weil die USA im Hintergrund der
19:31Garant waren, dass die Soldaten, die quasi hier eingesetzt sind, entsprechenden Schutz
19:35haben bis theoretisch zur nuklearen Abschreckung der USA für einen Einsatz.
19:39So, und das ist jetzt das Entscheidende, denn wenn jetzt bei einer derartigen Mission
19:43in der Ukraine die USA nicht an Bord sind, dann muss quasi, wenn das rein europäische
19:50Truppen sind, Europa etwas in der Tasche haben, um gegenüber den Russen auch potent auftreten
19:55zu können.
19:56Denn sonst könnten die Russen ja die europäischen Soldaten angreifen und müssen sich keine
20:00Sorgen machen, weil sie hätten ja nichts Negatives zu erwarten, weil die Europäer
20:04faktisch ja nichts in der Hosentasche haben als solches, bis im schlimmsten Fall zur
20:08extremen Ausprägung der Nuklearbewaffnung, die also im Vergleich zu den USA in Europa
20:13nur sehr gering vorhanden ist.
20:14Das klingt natürlich jetzt katastrophal und schlimm, aber das ist leider genau so, dass
20:18wir hier wieder im 19.
20:20Jahrhundert sind.
20:21Das heißt, wer einfach mehr Macht hat, wer mehr in der Lage ist, militärische Macht
20:23zu produzieren, gibt den Ton an.
20:25Das ist ja das, was hier quasi the elephant in the room ist im Wesentlichen.
20:29So, für die Ukraine bedeutet das jetzt natürlich, dass eine derartige Mission nur dann funktionieren
20:34kann, wenn sie abgesichert ist.
20:35Und darum hören Sie auch jetzt, wenn Sie genau hinhören, immer, also wenn wir Soldaten
20:39schicken, dann brauchen wir bitte die Unterstützung der USA durch eine Sicherheitsgarantie.
20:43Das heißt, wenn uns etwas passiert, dann die USA uns zu Hilfe oder auch zum Beispiel
20:47durch Logistikunterstützung und so weiter und so fort und auch spezielle militärische
20:50Fähigkeiten.
20:51Und da muss man sich natürlich die Fallstellen des Mandats stellen.
20:54Stellen Sie sich vor, wenn es ein robustes Mandat wäre, das heißt, diese Friedenstruppe
20:58wäre zum Beispiel gefordert, sogar die Streitparteien zu trennen oder dazwischen zu gehen, dann
21:03ist das natürlich auch möglicherweise mit Kampfeinsätzen verbunden.
21:06Das heißt auch hier ganz klar die Forderung, dass sie auch abgesichert werden müssen.
21:09Und das steht jetzt natürlich alles zur Debatte, denn die Europäer müssen natürlich gerade
21:14zähneklinisch hinzugeben, dass sie diese Fähigkeiten eigentlich nicht haben ohne
21:18der USA.
21:19Und jetzt kommt das Tragische daran, das weiß natürlich auch Russland.
21:22Und Russland hat aus seiner Sicht alle Zeit der Welt zu warten, bis es zu irgendwelchen
21:27Ergebnissen kommt, die man ja jetzt bereits erkennt, auf jeden Fall zum Nachteil der Ukraine
21:32werden.
21:33Und die Kämpfe gehen ja zur Zeit weiter, das heißt, die Russen erobern ja immer noch
21:36Stück für Stück.
21:37Und die Frage ist am Ende des Tages, was steht hier als Ergebnis?
21:40Vor allem, wenn Sie daran denken, dass aus russischer Sicht die demilitarisierte Zone
21:45ja nicht nur eine Linie ist, quasi mit einer entsprechenden Distanz links und rechts gerechnet
21:49der jetzigen Frontlinie, sondern möglicherweise das gesamte Gebiet ostwärts des Dnieper.
21:53Wie realistisch ist es denn, was der britische Premier und auch der französische Präsident
21:58schon so in Zwischenzeiten angekündigt haben, dass französische und britische Truppen
22:03dorthin entsandt werden?
22:04Sie haben angesprochen, es ist völlig unklar, was sie dort tun sollen.
22:07Aber wenn dort ein europäisches Kontingent möglicherweise auch mit österreichischen
22:13Soldaten dabei ist, was können die dort eigentlich ausrichten?
22:16Ja, das Entscheidende, wie gesagt, ist, wenn die Konfliktparteien nicht einer Entsehung
22:20zustimmen, so wie man das ja momentan noch nicht erkennen kann, weil wenn Sie genau hinhören,
22:25sehen Sie ja, dass die Russen sagen, sie akzeptieren keine europäischen Truppen in der Ukraine,
22:28sie sehen sie als feindlich an.
22:30Das heißt, es gibt also hier von europäischer Seite die große Herausforderung, was kann
22:34man denn faktisch in dieser möglichen, in diesem Szenario des Entgegenhaltens aufbieten?
22:40Ohne die USA sehr wenig, das ist ja das Problem, das wir haben im Wesentlichen, ja.
22:44Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs ansprochen, es fehlt der politische Wille, das Potenzial
22:49in Europa wäre da, eine entsprechende militärische Kraft zu errichten, im Moment haben wir sie nicht.
22:56In dieser Situation, die USA wenden sich von uns ab, sind möglicherweise sogar zumindest
23:01Konkurrenten oder sogar feindlich, was wäre denn eine Strategie für die Europäer?
23:07Ja, also machen wir vielleicht noch einmal kurz eine Lagefeststellung, ich habe da mal
23:11diesen Vergleich gebraucht von des Kaisers Neukleider, also seit Jahren erklärt man
23:15den Europäern, seht her, also seid sonst bitte nicht böse, aber ihr habt keine Hose an.
23:20Und die Europäer sagen, nein, nein, ihr täuscht euch, das ist nicht der Fall.
23:24Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat die USA uns den Spiegel vorgehalten und wir
23:28haben gesehen, wir haben wirklich keine Hose an.
23:31Daraufhin haben wir mit schreckensgeweihten Augen hinunter gesehen, in der Hoffnung die
23:34Hose dort vorzufinden, um sie hochzuziehen, haben wir festgestellt, die ist auch dort
23:38nicht, sondern sie ist einfach weg faktisch.
23:40Das heißt, aufgrund natürlich der Friedensdividende, die zu Recht eingefordert worden ist nach
23:44Ende des Kalten Krieges, weil man ja dachte, wir sind am Ende der Geschichte angekommen,
23:49um Francis Fukuyama zu zitieren und die Scorpions mit Wind of Change quasi durch die ganze Zeit
23:54im Radio gespielt worden sind, es ist vorbei, hat man natürlich hier ganz klar versucht
23:59quasi das, was man hier an Kosten in den letzten Jahrzehnten zu tragen hatte, faktisch wieder
24:03zu revidieren.
24:04Das Ergebnis war aber, dass die europäischen Streitkräfte, auch die Streitkräfte der
24:08NATO, massiv zurückgerüstet worden sind.
24:10Es gibt also manche Fähigkeitsbereiche, die sind noch relativ gut aufgestellt, auch aufgrund
24:14des Umstandes, dass sie ja im Einsatz waren in den Kriegen zum Beispiel in Afghanistan
24:17und Irak, aber es gibt viele Fähigkeitsbereiche, die sind nicht gut aufgestellt.
24:20Wenn wir jetzt sehen, dass wir diese Hose nicht anhaben, wie lange dauert es, bis wir
24:27diese Hose wieder hergestellt haben?
24:28Zwei Jahre, drei Jahre, sieben Jahre, zehn?
24:30Wenn wir uns dafür entscheiden, dass wir sie wieder anhaben.
24:32Wir sind jetzt gerade dabei, einmal zu realisieren, dass wir keine Hose anhaben.
24:35Jetzt müssen wir uns einmal den Kopf drüber zerbrechen, wo gibt es einen Schneider, der
24:38uns eine schneidern kann und wie schnell kann der das machen?
24:41Weil der muss ja das einmal versuchen anzumessen und so weiter und so fort.
24:44Wenn wir das jetzt nur versuchen, mit diesem Vergleich fortzuführen.
24:46Die europäische Rüstungsindustrie wäre sehr wohl in der Lage, Dinge zu tun, aber
24:51es bräuchte eben diesen politischen Willen, auch der Auftragsvergabe.
24:54Und wie gesagt, das kostet alles sehr, sehr viel Geld.
24:56Und wenn wir das weiterdenken bis zu einer nuklearen Abschreckfähigkeit, die ja im Raum
25:00steht, weil wenn die USA die nicht haben, dann müssen wir versuchen, das selbst zu
25:04entwickeln.
25:04Wenn ich sage wir, dann ist das Europa faktisch und das kostet natürlich sehr viel Geld.
25:08Es gibt nur ein Element, das mehr kostet, das ist der Fall, wenn es einen Krieg geben
25:11würde.
25:12Aber das sind natürlich so bahnbrechende Umwälzungen, die, wenn man sie sich durchdenkt
25:17in der Nacht, einen eigentlich in die schlaflose Nacht bereiten, dass noch niemand wirklich
25:20ernsthaft damit begonnen hat, sich damit auseinanderzusetzen.
25:23Und Sie hören das ja auch faktisch.
25:25Jetzt zum Beispiel in dieser Diskussion der Friedenstruppen, um auf das nochmal zurückzukehren,
25:28wenn Sie genau hinhören, dann sehen Sie immer diese Fußnote.
25:31Also wenn die USA bitte diese Sicherheitsgarantien uns geben würden, wenn sie uns logistisch
25:36unterstützen werden.
25:37Und ja, also eh nur in der Tiefe des Landes im Westen, damit es nicht zu einer Konfrontation
25:41kommt und so weiter.
25:42Nur das Problem ist, wenn wir wieder zurück sind in einer Zeit des 19. Jahrhunderts, wo
25:45der Recht hat, der einfach mehr militärische Gewalt ausübt, dann sehen wir momentan, dass
25:51wir ein großes Problem haben im Vergleich zu dem, was Russland tut.
25:54Selbst wenn wir die Russen faktisch jetzt immer als die zweitmächtigste Armee der Welt
25:59betrachten, die aber sicher ein blaues Auge bekommen hat, aber auf der Zeitachse sehen
26:03sie sich natürlich als Sieger.
26:04Und sie haben also hier kampfverprobte Streitkräfte, eine Rüstungsindustrie, die mit 3,5 Millionen
26:08Menschen im Dreischichtbetrieb produziert und das macht natürlich im Ergebnis was aus.
26:12Herr Reisner, ich möchte in Richtung Ende kommen.
26:14Der Öffentlichkeit sind Sie bekannt als Ukraine-Erklärer, sage ich jetzt ganz salopp, aber Sie sind auch
26:20Historiker.
26:21Und Sie haben unter anderem ein Buch geschrieben, ich habe mir das gestern noch einmal rausgesucht,
26:26über die Eroberung Wiens durch die Rote Armee 1945, haben sich da durch sowjetische Archive
26:32gewühlt, die inzwischen, Klammer großes, wieder verschlossen sind, haben auch mit Veteranen
26:37gesprochen, vor ungefähr zehn Jahren, und in Ihrem Buch beschreiben Sie ein Gespräch
26:44mit einem von diesen Veteranen, einem Nikolai, und Sie schreiben da, er ist als junger Mann,
26:49als junger Soldat in den Krieg gezogen mit der Überzeugung, das Richtige zu tun.
26:52Und er ist zurückgekommen mit der Überzeugung, dass sich das nie wiederholen darf.
26:57Wo stehen wir denn jetzt in Europa gerade?
27:00Sind wir noch im Glauben, die verschiedenen Akteure das Richtige zu tun, oder haben wir
27:04schon verstanden, dass wir schon zu weit gegangen sind?
27:06Wir sind aus meiner Sicht immer noch in einem Schockzustand und haben eigentlich noch gar
27:11nicht verstanden, was uns gerade passiert ist.
27:13Wir sehen zwar in der Diskussion, dass immer mehr Sicherheitspolitik ein Thema ist, aber
27:17die Masse schiebt das eigentlich zur Seite, ist eigentlich sogar schon übersättigt und
27:22sagt, wir wollen von dieser Ukraine-Geschichte jetzt nichts mehr hören, das ist einfach
27:25vorbei.
27:26Das Gegenteil ist der Fall.
27:27Wir sehen, dass von Monat zu Monat sich die Situation verschlechtert, auch jetzt mit der
27:30Situation der USA.
27:32Es muss uns klar sein, dass die Welt sich gerade massiv verändert.
27:35Die Ukraine und der Ukraine-Krieg ist nur ein Phänomen dieser Entwicklung.
27:39Wir sehen also, dass die sogenannte zweite und dritte Welt, die wir früher oft belächelt
27:42haben, mittlerweile in der Lage ist, aufgrund der technologischen Möglichkeiten, aufgrund
27:46der Rohstoffe, die sie haben und die sie auch selbst veredeln können, sehr potent auftreten
27:51kann.
27:52Während die erste Welt, die sich immer in einer Überlegenheit gesehen hat, mittlerweile
27:54erkennen muss, dass sie einerseits faktisch viele Dinge ausgelagert hat, zweitens das,
28:00was sie selbst produziert, gar nicht mehr in der Form verwenden kann, wie sie es eigentlich
28:03gedacht hat und drittens auch gar nicht mehr die Rohstoffe verfügbar hat.
28:06Und das nützen natürlich jetzt viele Staaten, um einfach jetzt ganz beinhart wieder Macht
28:10zu projizieren, wie das jetzt Russland getan hat mit der Ukraine, wie das auch andere Länder
28:14möglicherweise überlegen, wie zum Beispiel China mit Taiwan und so weiter und so fort.
28:17Und diese Ereignisse sind als historisch zu bezeichnen.
28:22Das ist uns als Eintagsfliehen in dieser Geschichte nicht bewusst, aber es ist so.
28:28Und der Historiker hat das Privileg, quasi aus der Distanz diese Dinge zu betrachten.
28:32Und Geschichte wiederholt sich nicht, wie man ja sagt, aber sie folgt oft denselben
28:36Mustern.
28:37Und es gibt hier schon viele Parallelitäten.
28:38Denn auch in der Vergangenheit war es ja so, dass die Menschen nicht damit gerechnet
28:42haben, dass es zu einer massiven Eskalation kommt.
28:44Denken Sie zum Beispiel an den Vorabend des Zweiten Weltkrieges.
28:47Damals hat man in München 1938 gehofft, dass jetzt quasi man irgendwie ein Auskommen gefunden
28:53hat mit dem Deutschen Reich.
28:54Das Gegenteil war der Fall.
28:55Aber niemand hat damit gerechnet damals, dass es zu dieser Eskalation des Zweiten Weltkrieges
28:59kommt, wie es der Historiker jetzt oft vermittelt.
29:02Und darum ist es aus meiner Sicht jetzt wichtig zu verstehen, dass wir möglicherweise Parallelitäten
29:07haben und dass es sehr, sehr notwendig wäre, ernsthaft die Dinge zu betrachten und zu versuchen,
29:12eine Beeinflussung dahingehend durchzuführen, dass eben genau das nicht passieren kann.
29:15Das heißt für Europa ganz konkret, Europa muss also wieder ein sicherheitspolitischer
29:19Akteur werden.
29:20Nicht jetzt im Sinne von der Projektion von Aggression, nein, vor allem im Sinne von der
29:25Projektion von Abschreckung, dass wir sehr ernst genommen werden, weil momentan werden
29:28wir das nicht.
29:29Herr Oberstreißner, als Militär, als Analytiker, als Historiker leben wir jetzt gerade in so
29:35einem Epochenbruch, ohne es zu merken?
29:37Also davon bin ich überzeugt.
29:39Es gibt jetzt aus meiner Sicht viele Indikatoren, die genau in diese Richtung weisen.
29:43Wir sehen also, dass sich die Welt gerade neu ordnet.
29:46Am Ende des Kalten Krieges, die USA ist den alleinigen Sieger dieser Zeit gesehen.
29:50Das hat also Jahre, Jahrzehnte gedauert, bis faktisch Staaten wie China, aber auch Indien
29:55oder Russland sich aus eigener Kraft oder sich erholend nach dem Schock des Tafals der
30:01Sowjetunion wieder eine gewisse Potenz aufgebaut haben und das spielen sie jetzt aus.
30:05Und wir sehen, dass die USA im Gegensatz zu früher nicht mehr in der Lage ist, ihre Macht
30:09zu projizieren, wie sie das gewohnt war.
30:10Im Gegenteil.
30:11Man muss also selbst sich Allianzen suchen, beziehungsweise hat auch das Problem, dass
30:15der Gegenüber mittlerweile auch jetzt alleine aufgrund der Technologieentwicklung sehr potent
30:19aufgestellt ist.
30:20So, das heißt, die Welt ordnet sich gerade neu, der globale Süden gegenüber dem globalen
30:24Norden im Wesentlichen.
30:25Und niemand weiß, wie das ausgemehrt ist.
30:26Es muss uns nur klar sein, dass in dieser Neuordnung auch entscheidend sein wird, ob
30:31das gute Leben, das wir weiter auch tatsächlich genießen wollen, möglich ist, wenn wir zum
30:36Beispiel es schaffen, Rohstoffe auch weiter zumindest Zugriff darauf zu haben oder generieren
30:41zu können.
30:42Und das ist ja eine der großen Achillesfehren Europas, dass wir eben nicht diese großen
30:46Rohstoffvorkommen haben, die wir brauchen würden.
30:48Oder dass wir zum Beispiel auch durch die Mittel einer sicherheitspolitisch geführten
30:52Diplomatie, aber auch durch das Verfügbarhaben von Streitkräften als potent wahrgenommen
30:57werden und nicht so, wie wir uns jetzt darstellen, wo wir das Problem haben, dass uns keiner
31:01ernst nimmt.
31:02Das heißt, wir haben schon darum betteln müssen, dass wir über so einen Verhandlungstisch
31:04sitzen, Stichwort Ukraine und Ähnliches.
31:06Und das ist historisch und das ist ein kompletter Paradigmenwechsel zu früher.
31:11Und da muss man auch ganz klar sagen, dass die zweite, dritte Welt das durchaus begrüßt,
31:15was hier passiert, weil die sagen, ihr ehemaligen Kolonialmächte, jetzt seht ihr mal selber,
31:20wie das ist.
31:21Und das ist uns noch ganz gut und recht, dass es euch auch einmal schlecht geht.
31:24Herr Reißner, wir entlassen unsere Hörer und Hörerinnen jetzt in den Samstagnachmittag.
31:29Wenn Sie zu sich, zu Ihrer Familie, zu Ihren Kindern heimfahren, nach all diesen Dingen,
31:33die wir jetzt besprochen haben, haben Sie trotzdem irgendeine Form von Zuversicht, wo
31:39Sie Ihren Kindern sagen können, es geht trotzdem positiv weiter?
31:41Natürlich, und zwar alleine schon aufgrund der Tatsache, dass ja aufgrund dieser historischen
31:46Betrachtung, die wir besprochen haben, wir jetzt ja diese Dinge und auch Ereignisse ganz
31:50klar ansprechen können, benennen können und auch Folgerungen treffen können.
31:54Und einer der Gründe, warum ich mir jede Minute Zeit nehme für Interviews und alles,
31:59ist, weil ich das Gefühl habe, quasi hier in der Vermittlung dieser Ereignisse quasi
32:03helfend zur Seite stehen zu können.
32:05Und das Gute ist, dass der Mensch es immer wieder geschafft hat, zur rechten Zeit die
32:09richtigen Maßnahmen zu treffen, um das Schlimmste zu verhindern.
32:12Also ich glaube zutiefst, dass die menschliche Vernunft auch hier siegen wird.
32:16Ich glaube nicht, dass irgendjemand ernsthaft ein Interesse daran hat, dass es zu einem
32:19großen Krieg kommt.
32:21Natürlich hat uns die Geschichte immer wieder auch gezeigt, dass es passieren kann, aber
32:24ich glaube, dass wir jetzt im 21.
32:26Jahrhundert, wenn schon so weit ist, dass man erkennt, dass faktisch auch mit den Möglichkeiten
32:29der Massenvernichtungswaffen heute das also etwas absolut Katastrophales wäre.
32:35Und das wissen wir auch aus der Vergangenheit, denken Sie an die Zeit von Ronald Reagan und
32:38so weiter, der damals als amerikanischer Präsident im Bewusstsein dessen, was er bei seinem Vernichtungspotenzial
32:43vorhanden ist, eigentlich dann sehr kritisch mit sich selbst ins Gericht gegangen ist und
32:47auch initiiert hat, faktisch dann die Verhandlungen mit Gorbatschow und so weiter und so fort.
32:50Also ich glaube sehr wohl, dass das auch möglich ist.
32:53Das heißt, ich sehe trotz alledem positiv in die Zukunft, was ich versuche natürlich
32:57zu verändern, ist diese Teilnahmslosigkeit und der Umstand zu glauben, naja, das wird
33:01schon irgendwie, irgendwie wird das so, das wird sich schon richten faktisch oder das
33:05geht uns eh nix an, weil wir sind ja da, wir haben das nicht begonnen, wir sind ja sowieso
33:09von eigenem Planeten.
33:10Nein, im Gegenteil, ja, wir müssen schauen, dass wir resilienzfähig werden, wir müssen
33:14schauen, dass wir uns darauf vorbereiten und dann werden wir auch schaffen, diese Herausforderungen
33:18entsprechend bewältigen zu können, nur wenn wir das nicht tun, dann kann natürlich die
33:20Überraschung nicht böse sein und das sollten wir vermeiden und da sind wir auch unseren
33:23Kindern schuldig.
33:24Wir versuchen Ihren Optimismus mitzunehmen in dieses Wochenende, Herr Reisner, vielen
33:28Dank für das Gespräch.
33:29Danke sehr, herzlichen Dank für Zeit und Vertrauen und eine gute Heimfahrt nach Wien.

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