Die SPÖ kann es sich nach dieser Wahl aussuchen, mit wem sie künftig regiert, erklärt STANDARD-Chefredakteur Gerold Riedmann – eine Rochade gab es FPÖ und ÖVP.
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NewsTranskript
00:00Wien hat gewählt. Wie, das bespreche ich jetzt mit Gerold Riedmann, er Chefredakteur beim Standard.
00:05Hallo Gerold.
00:06Hi.
00:06Gerold, die SPÖ hat Platz 1 verteidigt, aber kann man sich über diesen ersten Platz freuen?
00:11Es war doch ein leichtes Minus.
00:13Michael Ludwig wird sich über diesen ersten Platz freuen, er wird sich nicht über die Trendprognose freuen.
00:17Denn das war heute wirklich seltsam, dass es im ersten Moment für die SPÖ wesentlich schlechter aussah als 37%.
00:23Das war ein Schlag ins Gesicht angesichts von 46% in der Nachbarschaft, was Hans-Peter Doskozil im Januar schaffte.
00:30Aber 39, irgendwas, danach sieht es momentan aus, das ist machbar, damit kann man weitermachen.
00:35Und im Übrigen, darüber sprechen wir später noch, sind die Koalitionsvarianten weiterhin möglich.
00:39Also ich glaube, für den Bürgermeister ist das ganz okay.
00:43Zur Aufholjagd ausgerufen hat die FPÖ. Sie wollte mit Migrationsfragen und Sicherheitsfragen punkten.
00:48Einen ähnlichen Wahlkampf geführt hat die ÖVP, hat aber ziemlich schlecht abgeschnitten, ist der größte Verlierer.
00:53Aber das abends, wie erklärst du dir denn diesen Stimmenabtausch?
00:57Naja, zunächst zur ÖVP, da hat ein offensichtlich verzweifelter Kandidat einen offensichtlich verzweifelten Wahlkampf geführt.
01:04Die offensichtlich verzweifelten Wahlplakate haben darauf recht deutlich schließen lassen.
01:10Und Karl Marra hat sich das abgeholt, was die ÖVP normalerweise bei Wahlen in Wien, bei normalen Wahlen in Wien bekommt.
01:16Und das sind ein, zwei Bezirke und irgendwas um die 10%.
01:20Bei der FPÖ ging es auch in diese Richtung.
01:23Ich meine, da ist das Ergebnis nicht vom vergangenen Mal, das stand direkt unter Ibiza-Einfluss, auch herbeizuziehen,
01:28sondern das vor zwei Wahlen, 2015.
01:31Und ja, da lag die FPÖ bei 30%.
01:34Wenn man jetzt die 20% sieht, dann kann sich Herr Nepp über eine Verdreifachung freuen.
01:39Ich würde sagen, es hat ein Kandidat nicht das gesamte Potenzial der FPÖ in Wien ausgeschöpft.
01:44Dass die FPÖ trotzdem jubelt, ist wohl FPÖ immanent.
01:48Platz drei haben die Grünen geschafft.
01:49Sie haben ihr Ergebnis vom letzten Mal mehr oder weniger halten können.
01:53Die Neos haben auch leicht zulegen können.
01:55Wie erklärst du denn dieses Abschneiden?
01:58Ich glaube, dass das zwei absolut unterschiedliche Phänomene sind.
02:01Wien als Bundeshauptstadt kann weiterhin eine klare Mehrheit links der Mitte für sich beanspruchen,
02:07beziehungsweise die Mehrheit links der Mitte ist in Wien gesichert.
02:10Bei den Grünen ist das ein bemerkenswerter Erfolg.
02:13Denn Judith Bühringer hat etwas geschafft, was ein erster großer Wahlerfolg für die Grünen
02:19in der Ära der Oppositionsrolle jetzt darstellt.
02:23In vergleichbaren Wahlen und auch auf Bundesebene haben die Grünen deutlich, deutlich eingebüßt.
02:29Und allein, dass derzeit hier minus 0,1 vor dem Ergebnis steht, lässt die Grünen sicherlich länger in dieser Nacht feiern.
02:38Bei Neos ist es ein Zugewinn, der überraschend ist, beziehungsweise auch ein Ergebnis, das überraschend ist.
02:46Denn als Regierungspartei in der Stadt in weiten Teilen der Corona-Politik oder die Koalition war in weiten Teilen mit Corona-Politik bedeckt.
02:55Also das ist ein Ergebnis, auf das man stolz sein kann.
02:58Und übrigens auch, weil entgegen dieser Trendprognose, über die sich nicht nur der Bürgermeister ärgert,
03:03sondern die alle verunsichert hat heute und über die sicherlich noch zu diskutieren sein wird,
03:07gemeinsam mit Meinungsforschern, gemeinsam mit dem ORF und PULS24, die das durchgeführt haben.
03:13Aber das Ergebnis, das hier zustande kommt, ermöglicht ja auch eine Koalition weiterzuführen.
03:20Und insofern, glaube ich, dürften die Neos sehr zufrieden sein.
03:23Gut, dass wir mit der Aufnahme gewartet haben, bis die erste Hochrechnung da war.
03:27Das ist nämlich auch deswegen relevant, weil sich jetzt nach den ersten Ergebnissen wohl eine Koalition,
03:33sowohl zwischen der SPÖ und der ÖVP, zwischen der SPÖ und den Grünen und der SPÖ und weiterhin den Neos ausgeht.
03:39Was würdest du tippen? Wie geht es denn weiter in Wien?
03:41Ich kann jetzt zunächst sagen, was wir getitelt haben oder was ich getitelt habe im Kommentar.
03:45Mit leichtem Humor. Ich hoffe, die Leserinnen und Leser verstehen das.
03:48Aber es ist durchaus ein bisschen Wackelbudding anstelle von Bunschkrabfall für den Moment,
03:53weil es unsicher war über den Wahlabend hinweg, was sich dann tatsächlich ausgeht.
03:58Was sich eben ausgehen wird, sind mehrere Koalitionsvarianten.
04:01Das heißt, auch jetzt können sich die Neos nicht sicher sein, dass das Bunschkrabfall weitergeht.
04:05Aber möglich ist es. Und weil nicht viel gegen eine Nicht-Fortsetzung der Koalition spricht,
04:11denke ich, dass sie fortgesetzt werden könnte.
04:14Und darauf hoffen wohl auch nicht nur die Frau Viziebürgermeisterin, sondern die Neos insgesamt.
04:19Auf Bundesebene koalieren SPÖ und ÖVP.
04:23Denkst du, das ist für Wien realistisch oder gibt es da kein Zusammenarbeiten?
04:27Es gibt jedenfalls eine Annäherung beim Migrationskurs.
04:32Auch Michael Ludwig hat hier etwas andere Töne angeschlagen, als das in der Vergangenheit noch der Fall war.
04:38Ich denke schon, dass, wenn auf Bundesebene eine Zusammenarbeit mit der ÖVP und der SPÖ möglich ist,
04:44dann wird das auch auf Landesebene möglich sein.
04:47Im speziellen Fall von Wien denke ich, dass die Zusammenarbeit mit Neos für Michael Ludwig wesentlich bequemer ist,
04:52als die mit einem dramatischen Wahlverlierer.
04:56Interessant war auch das Rennen der Kleinparteien.
04:59Da gab es eine Überraschung insofern, dass die KPÖ sich verdoppeln konnte
05:02und vielleicht sogar den Einzug in den Landtag schafft.
05:05Heinz-Christian Strache allerdings hat es nicht geschafft.
05:08War es das mit Straches Politikkarriere?
05:12Ja, es ist der Aufguss vom Aufguss und um einige Vielfache ein noch verzweifelterer Versuch,
05:21als das überhaupt im Zusammenhang mit der ÖVP, als ich dieses Wort zuletzt benutzt habe.
05:26Heinz-Christian Strache möchte es versuchen, möchte als etwas gelten, möchte an seine alten Zeiten anschließen,
05:31hat in Wien einmal 30 Prozent errungen, gemeinsam mit der FPÖ.
05:36Und jetzt steht er bei 1,2 Prozent.
05:38Ich meine, die Frage beantwortet sich von selbst.
05:42Im Endeffekt wurde diese Stadtregierung zwischen SPÖ und Neos bestätigt.
05:48Mehr oder weniger so viele Verschiebungen gab es da gar nicht.
05:51Was heißt denn dieses Ergebnis für Bundesebene?
05:54Erstens muss man dazu sagen, wir nehmen, das ist ja modern, das zu sagen, dieses Video nun um 19.27 Uhr auf.
06:01Das heißt, es mag sich noch einiges verändern an diesem Abend.
06:04Und der Eindruck ist noch relativ frisch.
06:05Denn bis vor einer halben Stunde und bis vor der Trendprognose dachten wir, dass alles irgendwie ein bisschen anders sei.
06:13Da ging sich die Koalition mit Neos nicht aus.
06:15Da waren die Grünen wesentlich schlechter.
06:18Da hat die SPÖ dramatischer verloren.
06:21Also von daher, die Eindrücke sind noch relativ frisch.
06:24Auch die Telefonate, die wir mit allen Parteien geführt haben, sind noch relativ frisch.
06:27Aber ich denke, dass die Koalitionsvarianten, die technisch möglich sind, auch passieren könnten.
06:36Dass ich aber vor allem eben, wie du das auch sagtest, glaube, dass einer Fortsetzung der Wunschkrapferl,
06:43also der pinkroten, der rotpinken, der rosaroten Koalition, nichts entgegensteht.
06:48Auf der Bundesebene haben wir eine völlig andere Situation derzeit.
06:52Dort haben wir nach dem Ausflug in blauer Gefilde der ÖVP nach wie vor eine riesengroße Menge an Vertrauen,
06:59die zurückgewonnen werden muss von der ÖVP als Kanzlerpartei.
07:03Die SPÖ, die ja auch den Finanzminister stellt, wird im Mai, im bevorliegenden Mai, die Aufgabe haben,
07:09ein Budget zu präsentieren, gemeinsam mit der Bundesregierung.
07:12Ein Budget, das Einschnitte, eine übergroße Solidarität für alle bedeutet.
07:17Und große Einschnitte, die daneben heißen werden, weniger Geld für die Ministerien,
07:21aber auch weniger Geld für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
07:24Und das sind unangenehme Nachrichten, die für die Partei in der Koalition und auch für die Bundesregierung
07:29eben aktuell wesentlich wichtiger sind, als ob Bürgermeister Ludwig in Wien etwas gestärkt,
07:34nicht gestärkt, etwas geschwächt oder deutlich geschwächt ist.
07:37Ja, Ulrich Rittmann, vielen Dank für diese Analyse.
07:39Danke.
07:40Alle weiteren Informationen, Videos und Podcasts zur Wien-Wahl finden Sie auf derstandard.at.
07:47Vielen Dank.