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Im Interview mit der Austria Presse Agentur sprach der ehemalige Bundeskanzler über den Zustand der Europäischen Union, das Erstarken von Rechtsextremismus und die schwierige Regierungsbildung in Österreich.
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Transkript
00:00Der ehemalige Bundeskanzler Franz Franitzki sieht die stabile Zustimmung der Österreicher
00:06zur EU-Mitgliedschaft nicht als gegeben an.
00:11Zwar sei eine Mehrheit gegen einen EU-Austritt, das solle aber kein Ruhekissen sein.
00:19Die Republik Österreich muss ja sich auch immer wieder neu entwickeln und kann ja nicht
00:26sitzenbleiben und sagen, als Waldbauern-Bub haben wir gut gelebt und so wollen wir weiterleben.
00:32So wird es nicht gehen und das gilt auch für Europa, immer neue Ideen und neue zu entwickeln.
00:40Das Schlechte, was man tun kann, ist beispielsweise sich zurückzulehnen und sagen, dieses Bürokratiemonster
00:48in Brüssel, das ist uns unsympathisch, wir lassen uns nicht bevormunden, wir lassen uns
00:53nichts vorschreiben.
00:54Das ist keine positive Einstellung, sondern die Einstellung sollte ja sein, wenn wir es
01:00als Bevormundung empfinden, dann heißt es, sich hinsetzen und nachzudenken darüber,
01:07was tun wir, damit wir nicht, so wie manche glauben, bevormundet werden und was tun wir
01:16an Europapolitik, um der österreichischen Bevölkerung doch in einer vernünftigen Art
01:21und Weise immer wieder beizubringen, wie wichtig und wie modern und wie fortschrittlich
01:27dieses europäische Einigungsprojekt sein muss und sein kann und das wäre schon ein
01:34wichtiger Punkt, dass man nicht mehr zurückfällt in eine Zeit, in der immer dann, wenn etwas
01:44Unangenehmes politisch zu vertreten war, man die Schuld nach Brüssel schiebt und wenn
01:50es etwas Erfreuliches und Positives gibt, sich als eigene Leistung an den Hut steckt.
01:58Es sei wichtig, dass die Mitgliedsländer in ihrer Innenpolitik der Europapolitik einen
02:04besonderen Stellenwert einräumen.
02:07Besorgt zeigt sich Wranitzki über nationalistische Tendenzen, die die europäische Einheit gefährdeten.
02:16Wenn etwa bei Parlamentswahlen Mehrheiten zustande kommen, die sich wegwenden von liberalen
02:28Demokratieeinstellungen, die sich wegwenden von Integrationsschritten und dabei nationale
02:36und nationalistische Einzelgänger zu Wort kommen lassen oder zu Einfluss und Macht
02:43kommen lassen, dann wird das ganze Integrationsleben natürlich schwieriger.
02:47Man muss gar nicht so weit gehen, einzelne Nachbarländer zu strapazieren, sondern es
02:53ist auch richtig und wichtig, Europapolitik in Österreich so zu betreiben, dass integrationsablehnende
03:01und integrationsfeindliche politische Strömungen nicht in einem Maß überhand nehmen, dass
03:09das ganze System in Frage gestellt wird.
03:11Alleingänge einzelner Länder seien nicht ideal.
03:16Das Einstimmigkeitsprinzip wird zu Recht immer wieder in Frage gestellt.
03:20Das Problem liegt darin, dass man, um die Einstimmigkeit abzuschaffen, Einstimmigkeit
03:27braucht.
03:28Und so geht das im Geist.
03:30Das ist alles nicht zufriedenstellend und schwierig.
03:35Aber das Aufgeben und sich damit abzufinden, ist sicherlich der falsche Weg.
03:44Man muss ja auch immer wieder die Bevölkerung dafür gewinnen, diesem Einigungsprojekt
03:53positiv gegenüberzustehen.
03:54Und die Bevölkerung steht dann positiv gegenüber, wenn sie sicher sein kann, dass der Österreicher
04:02nicht auf einmal ein Portugiese werden muss und der Portugiese kein Finne und der Finne
04:07kein Belgier.
04:08So sei auch die österreichische Neutralität eine nationale Besonderheit.
04:14Wir können nicht einfach sagen, jetzt überlegen wir es uns und wir wollen nicht mehr neutral
04:20sein, weil wir nicht unsere Verfassung einfach vergraben können.
04:26Es gibt aber wiederum seit der Gründung vor 30 Jahren und dem heute eine vollkommen
04:33geänderte Sicherheitslage in Europa.
04:36Mit dem Europäischen Vertrag haben wir auch eine bestimmte neue Beistandsarchitektur betreten.
04:45Beistand heißt, dass einem geholfen wird, wenn man überfallen wird, dass man aber auch
04:52selber in der Lage sein muss, sich zu verteidigen und dass man selber in der Lage sein muss,
04:59mit anderen zusammenzuarbeiten.
05:01Das ist bisher nicht ausdiskutiert, aber ich glaube, es gibt schon Möglichkeiten unter
05:11Beibehaltung der Neutralität auf alle Fälle, aber trotzdem auch Beiträge zu leisten, wo
05:20andere Staaten, die im Europäischen Vertrag ebenfalls beteiligt sind, auf unsere Mitarbeit,
05:28auf unsere Hilfestellung reflektieren und damit rechnen können.
05:34Die EU solle sich nicht damit zufrieden geben, außenpolitisch nicht wahrgenommen oder nicht
05:40ernst genommen zu werden.
05:42Ein starkes und einiges Europa würde nicht so gebannt auf Entwicklungen sonst wo in der
05:54Welt starren und womöglich sich vor von dort ausgehenden politischen Maßnahmen fürchten,
06:09sondern eben auf der Grundlage unserer Einigung und unseres stabilen und soliden Zusammenhaltens
06:20eigene politische Wege zu gehen.
06:22Innenpolitisch gäbe es mittlerweile eine andere Ausgangslage als noch 1986, als in
06:30der sogenannten Franitzki-Doktrin eine neuerliche Zusammenarbeit der SPÖ mit der FPÖ ausgeschlossen
06:39wurde.
06:40Das politische Ziel sei eine solche aber immer noch nicht.
06:44Der Schlüssel liegt ja darin, die politische Arbeit so voranzutreiben, dass man solche
06:59Koalitionen nicht braucht, um Mehrheiten zu bekommen.
07:03Aber das ist jetzt nicht der Fall.
07:07Dennoch erhofft sich der Altkanzler eine Bundesregierung ohne die Freiheitlichen.
07:13Im Interesse des gesamten politischen Systems und unseres Staates hoffe ich doch, dass sie
07:26die gemeinsame Regierung zu Wege bringen.

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