• vorgestern
Die christliche Religion gilt vielen als seelische Grundlage des Westens. Dennoch wird das Christentum als Religion aus dem öffentlichen Diskurs und dem Bildungssystem verdrängt. Ganz ähnlich ergeht des seit einigen Jahren der Psychoanalyse. Ist das ein Zufall oder hat es tiefere Gründe? Giuseppe Gracia im Gespräch mit Jeannette Fischer.


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Transkript
00:00Herzlich willkommen zu Menschenbilder, der Sendung im Kontrafunk.
00:26Mein Name ist Giuseppe Grazia.
00:28Ich darf diese Sendung regelmässig gestalten
00:30mit Jeannette Fischer, der Psychoanalytikerin aus Zürich.
00:34Jeannette, guten Tag. – Grüezi, Giuseppe.
00:36Jetzt machen wir offiziell einmal den zweiten Teil einer Sendung,
00:40die wir schon gemacht haben.
00:41Die Sendung damals war über den Wert der Psychoanalyse.
00:44Für alle, die das nachhören wollen,
00:46über die Psychoanalyse, den Wert der Psychoanalyse,
00:48das war das erste Gespräch, das wir hatten.
00:51Heute haben wir das zweite dazu.
00:53Wir öffnen ein bisschen den Raum,
00:54weil wir hatten im ersten Gespräch festgestellt,
00:56es gibt anscheinend einen Bestreben, die Psychoanalyse wegzubringen.
01:01Und ich habe dann gesagt, ja, das ist beim Christentum ganz ähnlich.
01:04Nicht, dass man Religionen und Psychoanalyse vergleichen sollte,
01:07aber es gibt anscheinend Sachen, die sind so unbequem,
01:10dass man sie nicht mehr will.
01:11Und jetzt zum Eröffnen wollte ich dich noch mal fragen,
01:13vielleicht kannst du noch mal erklären,
01:15warum aus deiner Sicht die Psychoanalyse
01:18für einige Leute weggehört, warum man sie nicht will.
01:22Ja, ich vermute, einerseits, weil sie subversiv arbeitet.
01:27Also wir versuchen in der Psychoanalyse,
01:29die gesellschaftlichen Einschränkungen, Repressionen zu erkennen
01:35und freizulegen, nicht, dass wir dann gewalttätig werden
01:39oder gesetzesbrüchig, überhaupt nicht,
01:43aber im Sinne, dass gewisse Auflagen, Repressionen,
01:47Konventionen in unserer Gesellschaft,
01:49einfach unsere Entfaltung von Ich oder unsere Freude,
01:54würde ich jetzt da sagen, unsere Lipido,
01:57also die Lebensenergie, hemmt.
02:00Also ich möchte nochmals betonen, man geht ja immer davon aus,
02:03wenn diese Lebensenergie, diese Lipido nicht mehr gehemmt ist,
02:08dann wären wir eine Horde wilder Tiere
02:10und das stimmt eben überhaupt nicht, oder?
02:13Also es bedarf gewiss dieser Regulation nicht.
02:16Also in diesem Sinne ist Psychoanalyse subversiv,
02:20also auch kritisch der gesellschaftlichen Narrative
02:23und der Politik gegenüber.
02:25Ich glaube, das ist die eine Seite, die dann unbequem ist,
02:30weil mit einer Psychoanalyse ist man nicht mehr so schnell
02:34anpassungsfähig und sollte nicht mehr so in die Unterwerfung gehen,
02:39einfach weil einem das nicht gut tut, weil das Schmerz bedeutet,
02:43weil das Symptome verursacht.
02:46Und andererseits stehen wir für eine psychische
02:49und physische Komplexität des Menschen
02:52und staunen über diese Komplexität und gehen davon aus,
02:57dass das wie auch ein Wunder ist,
02:59dass man diese Psyche und diesen Körper hat
03:02und wie die zusammenwirken
03:04und dass man das eigentlich gar nicht mechanisieren kann.
03:10Man kann nur Prozesse verstehen, die entstehen zwischen zwei Menschen.
03:14Man kann da eine gewisse Ordnung reinbringen,
03:17wie Freud das versucht hatte,
03:19so eine Methode, die sich bis heute eigentlich als brauchbar erwiesen hat.
03:25Aber die Komplexität des Menschen
03:28und dass er eigentlich ständig in einem Prozess ist
03:32mit sich selbst, mit der Umwelt, mit den anderen Menschen,
03:35das kann man nicht mechanisieren.
03:37Also meinst du mit mechanisieren,
03:39man kann es nicht in Schubladen packen?
03:41Ja, man kann es quasi nicht naturwissenschaftlich begründen,
03:46man kann es naturwissenschaftlich nicht analysieren,
03:49man kann es nicht nachformen, das geht einfach nicht.
03:52Also trotz aller KI und was auch immer da auf uns zukommen wird,
03:58das ist einfach nicht möglich, weil der Mensch so ein komplexes Wesen ist,
04:03also Zusammenhang Seele, Körper und Geist und so weiter.
04:07Also das kann man nicht naturwissenschaftlich analysieren
04:10und zum Beispiel nachahmen.
04:13Und ich glaube, in diesem Sinne ist die Analyse unbrauchbar
04:18für das bestehende hauptsächliche Narrativ,
04:21also dass man den Menschen eigentlich in seiner Komplexität versucht,
04:25zu verstehen und neu zu schöpfen.
04:27Wenn ich jetzt das ganz bewusst zugespitzt auf den Punkt bringen würde,
04:31könnte ich ja sagen, der eigentliche Mensch,
04:34der sich selbst ein Stück weit auch immer ein Fragezeichen bleibt,
04:38der ist eigentlich gar nicht gewünscht, oder?
04:40In der Gesellschaft.
04:41Ja, das ist schön gesagt, ja.
04:43Also bewusst zugespitzt.
04:45Ja, dem würde ich eigentlich zustimmen.
04:47Und warum ist er nicht gewünscht, was meinst du?
04:49Weil man ihn dann nicht brauchen kann, oder?
04:52Ja, weil er in diesem Sinne letztendlich nicht kontrollierbar ist.
04:58Man hat ja alles versucht, also den Menschen unter Kontrolle zu bekommen,
05:02das sind ja alle diese Herrschaftsdiskurse,
05:05oder auch heute haben wir keine Monarchen mehr und Despoten,
05:10oder die sind bedeckt oder versteckt.
05:13Da versucht man es mit anderen Mitteln,
05:15die Kontrolle über den Menschen zu bekommen,
05:16aber es funktioniert einfach letztendlich nicht.
05:22Ja, dann scheitert ja letztlich jede Diktatur, oder?
05:24Am Schluss ist es doch so,
05:26das Bedürfnis nach Freiheit umso grösser wird,
05:29je repressiver die Gesellschaft, oder?
05:33Ja, gut, ja.
05:35Das ist ja auch eine historische Konstante.
05:38Also die Aufstände von Sparta,
05:41also Spartakuss ist ja nicht denkbar ohne die Unterdrückung vorher.
05:44Also es gibt irgendwann einen Knall, je mehr man drückt, oder?
05:49Ich glaube, gefährlich ist dieses Eingelullt-Sein,
05:51diese Scheinfreiheit, das ist, glaube ich, viel gefährlicher als...
05:54Das glaube ich auch, ja.
05:55...oder was wir heute haben.
05:57Ich sage immer, das sind optionale Freiheitsbegriffe,
05:59die wir heute im Narrativ haben.
06:01Du bist dann frei, wenn du viele Auswahl hast.
06:04Viele Pizzasorten, viele Frauensorten, viele Netflix-Serien.
06:08Aber das ist natürlich nicht Freiheit, das ist eine Zerstörung einfach.
06:12Und du bist eigentlich doch eingelullt
06:14in ein Netz von Pflichten und Entfremdungsmechanismen,
06:18würde ich jetzt mal sagen, oder?
06:19Ja, ja, genau.
06:21Also nichts gegen Pizza und Netflix, ich habe das auch gern, oder?
06:25Aber man darf es nicht mit Freiheit verwechseln, oder?
06:28Ja.
06:30Darum, ich verstehe genau, was du meinst.
06:32Und wenn ich dich richtig verstehe,
06:34heisst das ja, man sollte eigentlich alle Techniken,
06:37alle kulturellen Errungenschaften,
06:39die den Menschen zu sich selber zurückbringen,
06:41zum eigenen, zum tatsächlich Originellen,
06:44sollte man eigentlich vermeiden, oder?
06:46Weil das dann ja eigentlich stört, oder?
06:48Ja, ja, es sind eben, was du gesagt hast,
06:51auch dieses Konsumieren von Frauen oder Männern
06:54oder Pizza oder Netflix, was auch immer,
06:56von dieser Auswahl, das bringt uns eben nicht zu uns selbst,
07:01oder Freiheit heisst dann, wir sind weit weg von uns
07:05oder entfernen uns immer weiter in diese Konsumwelt
07:08und gehen weg von uns.
07:10Und dann sind wir verfügbar für Konsum,
07:14weil wir quasi das Ich nur noch erleben können im Konsum.
07:20Aha, wir können uns selber nur noch spüren dort?
07:23Wir können dann unsere Identität dann nur noch im Konsum spüren.
07:27Und wenn der dann wegfällt, dann sind wir dann wieder verloren,
07:30dann müssen wir wieder Geld verdienen,
07:32damit wir dann wieder konsumieren können.
07:34Also wir sind weg von uns.
07:36Da sind wir auch in den Geschäften,
07:38auch in den Lebensmittelgeschäften inzwischen,
07:40also hier in Zürich, da ist schrille Musik.
07:45Also wirklich schrille, laute Musik.
07:49Und dann weiss ich dann, wenn ich da reingehe,
07:53nicht mehr, was ich haben wollte.
07:56Dann lasse ich mich eigentlich von dieser Musik,
07:59obwohl ich sie dann schon bewusst nicht mehr höre,
08:01lasse ich mich stören und bewege mich irgendwo durch diese Gestelle,
08:06aber nicht mehr zielgerichtet,
08:07ah, jetzt muss ich einen Joghurt haben und Salami
08:10und dann gehe ich zur Kasse,
08:12sondern dann bin ich von mir so weit weg,
08:15dass ich meine Wünsche nicht mehr erkenne
08:18oder meine Bedürfnisse nicht mehr erkenne.
08:21Also der Raum für ich, jetzt grossgeschrieben,
08:25der wird entzogen und das finde ich eben gefährlich
08:28und genau dieser Raum ist für die Psychoanalyse
08:31der wichtigste eigentlich und vermutlich auch in der Religion.
08:35Oder was meinst du?
08:37Ja, das ist so.
08:38Und das Tragische daran, also ich rede jetzt vom Christentum,
08:42dass die institutionalisierte Religion dann aber eben
08:45über die Jahrhunderte selber nicht in der Lage ist,
08:48genau diesen Raum des Ich, des intimen Bezugs zwischen Ich und Du,
08:53und das wäre jetzt ein göttliches Du in der Religion,
08:56zu schützen vor dem Zugriff der Interessen der Welt.
09:00Das wäre ja die primäre Aufgabe.
09:02Man kann es ja sofort sehen,
09:03wenn Bischöfe im Fernsehen auftreten oder Päpste,
09:06reden die jetzt von diesem Raum.
09:10Fürchtet euch nicht, wie Johannes Paul II. damals gesagt hat,
09:13fürchtet euch nicht.
09:15Es gibt keinen Grund, Menschenfurcht zu haben oder Weltfurcht.
09:19Oder interpretieren sie die Welt genauso wie alle anderen Institutionen,
09:23Grossen auch, und erklären dir, was du jetzt tun musst
09:25oder was du jetzt lassen musst.
09:28Das ist relativ schnell zu erkennen, was heute dominiert
09:30und was eigentlich immer wieder dominiert hat.
09:32Das ist für mich die Tragik der christlichen Geschichte,
09:36dass sie ihr eigenes Credo nicht einhält, und zwar sehr oft nicht.
09:42Für mich ist das Wunder der christlichen Religion,
09:45dass es eine Instanz gibt, die über den Menschen steht
09:48und das dann alle Menschen auf die gleiche Augehöhe zwingt.
09:52Es gibt keinen Menschen, der sich über den anderen erheben darf.
09:55Das ist eigentlich schon verrückt.
09:57Das ist genial.
09:58Das ist revolutionär.
10:00Und dort wird es dann ausgedrückt im Sünderbegriff,
10:03weil alle Sünder sind.
10:04Also wer ohne Sünder ist, werft den ersten Stein.
10:06Das wäre ein berühmtes Zitat jetzt von Jesus.
10:09Man könnte es auch positiv ausdrücken, oder?
10:12Also wer meint, er sei ein Übermensch, soll mal vortreten, oder?
10:17Man könnte es auch so formulieren.
10:19Aber die Grundrichtung ist immer die gleiche.
10:21Wir sind alle Geschwister und Brüder.
10:24Es gibt keinen Grund, uns zu erheben über andere.
10:28Und dieser Wert geht aber verloren,
10:30wenn die Kirche nicht das genau vorlebt,
10:34was sie eben leider oft, muss man sagen, nicht tut.
10:37Ich möchte dazu sagen, ich kenne sehr viele heiligmässige,
10:40seelsorgende, die wirklich das auch versuchen zu leben.
10:44Wenn man jetzt vor allem diese grossen Institutionen anschaut
10:48und ihre Vertreter sind auch sehr arrogant oft
10:51und moralisch selbst aufgeblasen,
10:53und meinen jetzt, sie müssten uns da vorschreiben,
10:55welche Partei wir wählen oder wie wir leben
10:58oder wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen müssen oder was immer.
11:02Also ganz weltliche Programme, oder?
11:05Und ich weiß noch, ich habe einmal eine Diskussion verfolgt,
11:08die sehr intensiv war zwischen einem Politiker der Mitte-Parteien,
11:12also Ausgewogenen, und dem Publikum.
11:15Und da war jemand im Publikum, der gesagt hat,
11:17aber Sie wollen doch die Kirche nur kastrieren.
11:19Die Kirche muss doch politisch sein.
11:21Sie muss sich doch politisch äussern.
11:23Und Jesus war auch politisch und so weiter.
11:26Und dann hat diese Frau, die von der Mitte-Partei war, gesagt,
11:28ja schon, aber der Jesus war eben Gottes Sohn, oder?
11:31Also der hatte den Urblick, ich nicht.
11:33Ich bin nur ein Mensch.
11:36Und das ist für mich genau die richtige Haltung.
11:38Also wir sind alle nur Menschen.
11:40Wir können nicht wissen, was jetzt die Wahrheit ist.
11:42Ich als Christ glaube, Gott ist die Wahrheit und die Liebe
11:46und die Quelle alles Lebens.
11:48Aber was das dann genau heisst, jetzt rein weltlich heute,
11:51wie ich das anwenden muss, das ist so kompliziert.
11:55Und ich muss ja anderen Christen zugestehen,
11:57dass die das ganz anders sehen, wie man das dann auslebt,
12:01dass ich Respekt haben muss und aufpassen muss,
12:04dass ich nicht anderen Christen das Christsein abspreche,
12:07wenn ich sage, du siehst es aber anders als ich.
12:09Für mich ist das die Hauptaussage.
12:11Über uns steht jemand, der nicht ein Mensch ist
12:14und der uns Menschen zu gleichwertigen Kindern
12:18seiner selbst macht.
12:18Und das bedeutet, wir sind nicht ausgestattet mit der Fähigkeit,
12:23über andere uns zu erheben.
12:24Und wenn wir das tun, ist das eigentlich eine Sünde, oder?
12:27Aber wenn du sagst, alle sind gleiche Sünder,
12:31dann finde ich das eigentlich für mich jetzt
12:34eine komisch anmutende Prämisse.
12:37Also nicht, dass ich keine Sünderin wäre,
12:40aber auf der Prämisse der Sünde, diese Gleichstellung.
12:44Also ich würde dann eher sagen, wir sind alle gleich,
12:47einfach weil wir Menschen sind und wir machen vieles falsch,
12:50wir machen vieles richtig und so.
12:53Aber die Sünde, also woran ist dann diese Sünde gemessen?
12:57Also du hast es eigentlich auch jetzt wunderbar gesagt,
12:59wir machen vieles falsch, oder?
13:02Das ist das Gleiche eigentlich.
13:04Es ist ein Akt der Demut, sich einzugestehen,
13:06dass man vieles falsch macht, oder?
13:08Aha, für mich ist eben Sünde immer so ein grosser Begriff.
13:12Nein, nein, es ist etwas ganz Selbstverständliches.
13:16Und theologisch heisst Sünde im Grunde etwas verhindern,
13:18was sein sollte, oder?
13:20Wenn man es genau definieren will.
13:22Theologisch, der Herrgott will das Leben in Fülle
13:25und das verhindere ich bei mir selbst und bei anderen immer wieder.
13:29Und das ist Sünde.
13:31Es sollte eigentlich sein, das Leben in Fülle,
13:33aber wir klemmen es ab, wir kastrieren es,
13:36wir kastrieren andere, wir kastrieren uns selbst und so weiter.
13:39Das ist Sünde.
13:41Und da wir das alle tun,
13:43ist es nicht angemessen, jemandem das vorzuwerfen.
13:46Das geht eigentlich darum, oder?
13:48Ich kann dann schon sagen, ja, aber der hat jetzt da jemanden geschlagen
13:51oder der hat jetzt da irgendwie eine furchtbare Sache gemacht.
13:54Ja, gut, aber wer bin ich, oder?
13:56Es geht dann darum, wer bin ich?
13:58Also wer ohne Sünde ist, werfet den ersten Stein.
14:00Das ist wirklich das Bild, oder?
14:03Der Jesus sagt ja nicht, ihr seid so klein und unwürdig oder irgend so.
14:07Er sagt ja nur, wenn er sieht, dass die Ehebrecher totschlagen wollen, oder?
14:11Was übrigens im arabischen Rahmen immer noch passiert,
14:13dass man dort die Ehebrecher entsteinigt.
14:15Der sagt ja nur, wer nie eine Sünde begangen hat,
14:17soll das jetzt machen, ja?
14:19Das ist eine geniale Reaktion, absolut genial.
14:23Die müssen ja jetzt überlegen, bin ich unfehlbar?
14:26Und niemand ist unfehlbar, außer er hat eine grössenwahnsinnige Selbsteinschätzung.
14:30Aber das ist für mich eine Schutzsperre,
14:33die dich eigentlich zwingt, nicht zu urteilen über andere, oder?
14:37Das ist eigentlich der Punkt.
14:38Ohne zu sagen, es gibt überhaupt keine Sünde und der Mensch ist ganz toll,
14:42das wäre ja auch wieder eine Lüge, oder?
14:44Das ist unrealistisch, oder?
14:45Und jetzt diese Größe von Idee, die ja eigentlich auch sehr frei macht,
14:49finde ich jetzt, mich hat das immer befreit,
14:52die wird natürlich zugeschüttet wieder durch die Amtskirche,
14:55die dann oft eben daraus wieder eine ganz machtorientierte Geschichte macht,
15:00oder mit irgendwelchen Obermordsleuten,
15:03die dann irgendwie entscheiden,
15:05wie man das jetzt gesellschaftlich zu verstehen habe.
15:09Heute besonders scheußlich ist ja diese Amtskirche,
15:11die mit dem Staat in Bette ist und weil sie Steuermillionen bekommt,
15:15die einfach nachbetet, was die grossen Parteien wollen,
15:18das ist ziemlich banal alles.
15:21Aber für mich ist das alles gar nicht mehr Christentum,
15:23das ist mehr eine Art Machtapparat,
15:25ebenso wie es auch der Staat ja ist, oft, oder leider.
15:29Oder siehst du das anders, oder?
15:31Nein, ich finde interessant, was du sagst.
15:33Ist dann nicht der Papst unfehlbar?
15:37Das Wort der Unfehlbarkeit ist missverständlich,
15:39oder der Papst ist nicht als Mensch sündlos.
15:43Er sagt ja gleichzeitig betet für mich, sagt er ja immer wieder.
15:47Damit ist nicht gemeint, er ist ohne Sünde,
15:48sondern das Unfehlbarkeits-Dogma bezieht sich auf die Aussagen
15:52des Lehramtes der katholischen Kirche,
15:54dass sie, wenn die ganze Tradition quasi angerufen wird,
15:58dass es kein Irrtum sein kann.
16:00Also, was die Kirche jetzt sagt, kann nicht morgen völlig falsch sein
16:04in Bezug auf Glaubensaussagen.
16:06Dazu muss der Papst aber auch zuerst sagen,
16:09dass jetzt Ex-Kathedra-Aussagen kommen.
16:12Also, quasi Kraft meines Amtes erkläre ich, oder?
16:16Das und das und das.
16:18Hat er aber eigentlich noch gar nie gemacht.
16:21Ich glaube, einmal wurde das gemacht, seit den letzten 100 Jahren.
16:25Alle anderen Aussagen sind ganz normale Aussagen
16:27von irgendwelchen Päpsten.
16:29Das wissen die Leute, Ex-Kathedra-Aussagen von Päpsten
16:32sind, glaube ich, in 100 Jahren einmal gemacht worden.
16:35Aber das war so eine ganz dogmatische Frage.
16:37Es hat überhaupt keine politische Relevanz in dem Sinne.
16:41Aha, und dann ist nur Ex-Kathedra, diese Aussage ist dann unfehlbar.
16:45Genau, und zwar, weil der Papst sagt,
16:48alle traditionellen Schriften, die bis jetzt gemacht wurden
16:51zu diesem speziellen dogmatischen Thema,
16:54sind einig, dass es so ist.
16:56Und ich als Papst gebe jetzt meinen Stempel dazu.
16:59Er darf nicht sagen, ich sage jetzt zum Beispiel,
17:01die Erde ist flach, oder?
17:03Und ich erkläre als Papst, die Erde ist flach.
17:06Wenn die ganze Tradition vorher nicht so war, oder?
17:08Das geht nicht, das kann er nicht machen.
17:10In diesem Moment ist er quasi nicht mehr Papst.
17:14Also das geht nicht.
17:16Das ist wie ein Bundesrat, der sagt,
17:17so, jetzt machen wir keine Demokratie mehr, oder?
17:20Dann ist er in diesem Moment wahrscheinlich abgewählt.
17:24Also das funktioniert nicht, du bist nicht mächtiger als Mensch.
17:27Aha, das habe ich falsch verstanden.
17:29Ja, das ist ein Dienst an der Tradition.
17:31Und die Unfällbarkeitsdogmatik ist der Versuch,
17:34den Papst an die Tradition zu binden.
17:37Es ist eigentlich auch da der Versuch,
17:38einen Größenwahnsinnigen zu verhindern.
17:41Und wenn ein Papst morgen auftreten würde, der sagt,
17:45also ich schaffe das jetzt ab, das Unfällbarkeitsdogma,
17:48und ich schaffe überhaupt die Rückbindung
17:50an diese furchtbaren alten Leute, die schon lange tot sind, ab.
17:54Das wäre ein gefährlicher Papst.
17:57Weil der würde sich und sein Ich
18:00und seine jetzige Erkenntnis über alle anderen 2000 Jahre vorher stellen.
18:04Das sind für mich die Gefährlichen.
18:06Also die Ironie der Geschichte ist ja, dass von außen gesehen
18:09alle immer sagen, die Konservativen sind gefährlich.
18:12Nein, weil die Konservativen binden sich ja zurück,
18:17unterstellen ihr Ich der Tradition.
18:19Die Progressiven sind gefährlich.
18:22Die wissen alles besser, oder?
18:25Weisst du, was ich meine?
18:25Das ist interessant.
18:27Also für mich sind die Progressiven immer gefährlich,
18:29auch in der politischen Geschichte.
18:31Also die Diktaturen waren immer progressiv.
18:33Revolution, immer progressiv.
18:37Konservative sind eher weniger im Revolutionsmodus.
18:40Das gab es schon auch, aber eher selten.
18:43Also die Welt neu erschaffen, den Menschen neu erschaffen,
18:46das ist eigentlich progressives Programm meistens.
18:49Und darum, ich würde jetzt konservativen Institutionen
18:52grundsätzlich mehr vertrauen,
18:53weil sie gar nicht diesen Drive entwickeln können,
18:55dass da einer sagt, ich habe jetzt die totale Wahrheit.
19:00Übrigens dazu passt auch, dass die katholische Kirche
19:03Privatoffenbarungen grundsätzlich misstrauisch begegnet.
19:07Dass jemand eine Privatoffenbarung hat in der Nacht,
19:09da scheint ihm Jesus und sagt ihm dann,
19:12du musst jetzt das und das.
19:13Die Kirche sagt dann, ja, also, selbst wenn es der Papst ist,
19:17müsste die Offenbarung zu der bisherigen großen Offenbarung
19:21sehr gut passen.
19:23Also dieses ganze Subjekt, das sich aufbläst,
19:26wird eigentlich von allen Seiten verhindert,
19:29für mich jetzt in der Tradition, oder?
19:32Nur leider noch einmal,
19:33das Personal hält sich dann oft selber nicht dran.
19:35Und dann treten dann doch irgendwelche Bischöfe auf,
19:38die jetzt die totale Wahrheit erkannt haben.
19:40Aber in diesem Zusammenhang eine Rückfrage.
19:42Ich habe ja nach unserer ersten Sendung
19:44mindestens eine sehr böse Rückmeldung bekommen
19:46zur Psychoanalyse von einer Person, die gefunden hat,
19:48es ist fürchterlich, es ist unwissenschaftlich
19:51und es ist derart unterdrückend und so weiter.
19:54Ist bei euch das auch bei der Psychoanalyse,
19:56dass das Personal manchmal einfach versagt
19:58und dass man nicht diese Befreiung den Menschen bringt,
20:02die es eigentlich bringen könnte?
20:03Weisst du, was ich meine?
20:06Ja, ja, da muss ich schon zustimmen.
20:07Also hier gibt es auch, wie überall in jedem Beruf,
20:11gibt es einfach schlechte Psychoanalytiker.
20:14Also schlecht, würde ich sagen,
20:15sind die, die eigene Geschichte in den Patienten
20:19und in diesen Prozess hinein projizieren
20:22und dann quasi sich im Patienten behandeln.
20:27Aha.
20:27Verstehst du, was ich meine, oder?
20:29Also, dass man das eigene auf den Patienten projiziert
20:32und dann diesen so behandelt, oder?
20:35Das passiert manchmal.
20:36Also das passiert schon.
20:38Also ich habe zum Beispiel Patientinnen gehabt,
20:41die mit einer vorhergehenden Analyse,
20:44die zum Beispiel keinen Kinderwunsch hatten,
20:47aber in der Analyse wurde ihnen,
20:50das war zum Teil auch eine Tendenz in den 80er-Jahren oder so,
20:54also zumindest hier, einen Kinderwunsch angedichtet,
20:57obwohl die eigentlich keinen Kinderwunsch hatten,
21:00aber am Schluss zweifelten oder Kinder machten,
21:02weil sie gedacht haben, also dieser Kinderwunsch,
21:05der ist scheinbar da und unbewusst,
21:08vielleicht löst das damit dann meine Problematik.
21:10Aber ich habe dann auch gesehen in der zweiten Analyse dann,
21:14also mit mir, dass der Kinderwunsch eigentlich nach wie vor
21:17auch mit Kind nicht da ist, oder?
21:21Also das ist nur ein Beispiel.
21:24Es ist dann auch vom Zeitgeist abhängig, kann man das sagen?
21:26Es ist einerseits vom Zeitgeist abhängig,
21:29aber auch andererseits, ja, von dieser Person,
21:32die dann in diesem Zeitgeist gefangen ist.
21:35Also da sind wir ja sowieso auch gefangen,
21:37aber man muss dann schon aufpassen,
21:40man muss sich dieser Gefangenschaft schon auch bewusst werden.
21:43Also wir sind ja alle auch Wesen in dieser Kultur,
21:47also alles ist uns sicher nicht bewusst,
21:50aber es ist doch unsere Aufgabe, weil wir das Unbewusst erforschen,
21:54dass wir das eigene erforschen
21:55und nicht die eigenen Kinderwünsche auf andere projizieren,
21:59zum Beispiel wie in diesem Fall, den ich jetzt da geschildert habe.
22:02Also das passiert einfach, oder? Ich weiss nicht, wie oft.
22:06Aber das ist wie in jedem Beruf, oder?
22:08Das ist einfach Mist und fahrlässig.
22:11Und also würdest du sagen, dass diese vielen negativen Vorurteile,
22:16die es auch gibt gegen die Psychoanalyse,
22:17ist oft auch eine schlechte Erfahrung von Patienten dahinter?
22:21Ja, auf jeden Fall, oder?
22:24Da muss man diese Leute in Schutz nehmen.
22:26Und andererseits ist es aber gerade so,
22:29weil die Psychoanalyse ja keine Wissenschaft ist,
22:32natürlich ist es eine empirische Wissenschaft,
22:34es ist keine Naturwissenschaft, aber es geht auch darum,
22:38weil wir im Gegensatz zu anderen Therapiearten,
22:42andere Psychotherapiearten, die verordnen etwas und sagen,
22:46also du musst jetzt fünfmal am Tag schwimmen gehen,
22:49ich sage jetzt einfach etwas, oder das und das,
22:51oder immer Lift fahren, obwohl du Angst hast vor dem Lift fahren,
22:54das muss man umtrainieren und so weiter.
22:56Also die geben etwas vor und die geben auch Ratschläge.
23:01Das sind auch die vielen Ratgeber, die heute auf dem Markt sind,
23:06also vor allem psychologische Ratgeber.
23:09Also das impliziert, es gibt eine gewisse Ordnung
23:13und man muss es nur richtig machen,
23:15dann ist man dann schon richtig und dann kommt man aus diesem Leiden heraus.
23:19Also es wird eine Ordnung simuliert.
23:22Und diese Ordnung, die gibt es nicht.
23:26Und die Psychoanalyse, die ist eben dazu da,
23:29quasi innerhalb dieser Nichtordnung.
23:31Ich kann nicht sagen, es ist Unordnung,
23:33sondern es ist einfach Nichtordnung.
23:35Der Mensch läuft nicht linear ab.
23:38In dieser Nichtordnung, Unsicherheit, in der man immer ist,
23:42in dieser Ungewissheit, wenn man die mal zulässt,
23:46dann muss man die lernen auszuhalten.
23:49Es ist ja eigentlich gar nichts gewiss.
23:51Ich kann in drei Minuten sterben, was auch immer.
23:55Es ist nichts gewiss.
23:56Also die Psychoanalyse ist eigentlich dazu da,
23:59sich in dieser Ungewissheit und in dieser Unsicherheit zurechtzufinden,
24:04im Sinne, dass das aushaltbar ist
24:07und dass man auch gerade dadurch einen Raum nicht mehr beschäftigt ist
24:12mit dieser Ordnung und diesem Ratgeber
24:14und das muss ich jetzt damit, dieses Muss damit,
24:18sondern das ergibt in sich wieder paradoxerweise einen Freiraum
24:22oder Freiheit, wie du sagen würdest,
24:25einen inneren Freiraum, um zum Beispiel eigene Gedanken zu haben,
24:29über etwas nachzudenken, dass einem etwas in den Sinn kommt,
24:33was gestern passiert ist,
24:35und dann kann das quasi in die psychische Verdauung rein.
24:38Also diesen Raum haben wir sonst gar nicht.
24:42Der wird einerseits durch die Musik in diesen Geschäften überall
24:46oder über den Konsum entzogen,
24:49aber dieser Raum ist eben wichtig, um das persönliche Wachstum
24:53und auch die persönliche Ausdehnung zu gewährleisten.
24:58Und da drin schwimmt man zuerst ganz gehörig
25:02und bis man gelernt hat, außerhalb von diesen Ordnungssystemen,
25:07dass eigentlich dort das Leben stattfindet.
25:11Und ich glaube, wenn jemand auch so wütend sein kann auf die Psychoanalyse,
25:15ist es einerseits vielleicht wegen schlechter Erfahrung
25:18und andererseits aber auch, weil dieses Schwimmen da drin,
25:22quasi in diesem strukturellen Wechsel, sehr unangenehm ist
25:26und sehr viele Ängste auslöst, auch sehr viele Wut auslöst,
25:31weil man eine Art wie sich alleingelassen fühlt,
25:33obwohl man das dann gerade nicht ist, oder?
25:37Ja.
25:39Auch da gibt es eine grosse Gemeinsamkeit
25:41mit der christlichen Spiritualität und mit der Seelsorge,
25:44weil dort auch der Mensch als Original ernst genommen wird.
25:49Und es gibt einen berühmten Satz von einem Jesuiten auf jeden Fall,
25:52dass die Menschen werden als Original geboren und sterben als Kopie, oder?
25:56Und das muss man verhindern.
25:58Ein guter Seelsorger muss das verhindern.
26:00Er muss dafür schauen, dass der Mensch ein Original bleibt.
26:03Und das kann er nur in Bezug auf Gott, natürlich dann, klar, in der Religion.
26:06Aber das ist eine grosse Gemeinsamkeit,
26:09dass man den Menschen als Individuum vor Gott stellt,
26:13wenn man die Seelsorge richtig betreibt.
26:16Und dass man eben nicht sagen kann, was Gott jetzt dazu sagt,
26:20weil man ja nicht Gott ist, sondern er soll ins Gebet gehen,
26:23er soll sich vor Gott stellen und nicht vor ein menschliches Tribunal.
26:29Und Gott wird dann richten oder urteilen oder freisprechen.
26:33Und auch die Beichte funktionieren ja nur, weil ja der Priester sagen kann,
26:37ich habe die Vollmacht von Jesus bekommen, dich loszusprechen.
26:41Aber er kann nicht sagen, die Regeln habe ich auch gesetzt.
26:45Die Regeln sind von Jesus gesetzt, also von Gott, oder?
26:48Und es ist egal, welche Sünde.
26:51Der Priester hat da nichts zu melden.
26:54Er muss den, der kommt, lossprechen.
26:57Und er darf auch nicht die Türe zumachen und sagen, ich mache das jetzt nicht.
27:02Und es gibt jetzt weltliche Entscheide, dass wenn einer den Mord bereichert,
27:06dann muss der Priester das der Polizei melden.
27:08Das ist ein Offizialdelikt, oder?
27:10Das geht natürlich nicht, dass er dann da schweigt.
27:13Aber ansonsten, wenn es kein Offizialdelikt ist,
27:16ist das Beichgeheimnis absolut.
27:19Das darf ja niemandem sagen, das geht niemandem sagen,
27:22dass das Personal dann schwach ist und doch ab und zu versagt, ist auch klar.
27:25Aber die Idee ist auch die, auch dort bist du geschützt.
27:28Du und Gott allein, das ist der Schutz.
27:32Ich verstehe, das schützt mich vor dem Zugriff der Gesellschaft, oder?
27:38Aber viele verstehen das so, oh mein Gott, dann kann ich mich ja nicht mehr orientieren,
27:42ich schwimme dann, oder?
27:44Ich muss jetzt in der Stille mit mir selber irgendwie auskommen.
27:49Und das ist für viele natürlich gefährlich.
27:52Und ich erkläre mir so auch diese ganz spießbürgerlichen Predigten,
27:55die ich halt die letzten Jahre praktisch nicht mehr ertrage,
27:58wenn ich in die Kirche gehe, dann gehe ich auch nicht mehr.
28:00Dass das auch nicht mehr so gelehrt wird,
28:02sondern es wird dann eine spießbürgerliche Orientierungskategorie angeboten,
28:07die dann alle zufriedenstellt und die niemanden auf sich selber zurückstößt.
28:12Oder?
28:14Es ist so eine Art lauwarme, bequeme Moral.
28:17Man muss der Logik des Herzens folgen, oder man muss diese Partei nicht wählen,
28:22oder man muss halt so die Umwelt schützen, oder was auch immer.
28:25Irgendein Katalog.
28:27Und dann sind alle wieder zufrieden und gehen nach Hause.
28:29Also das ist dasselbe, oder? Das ist ein Ratschlag.
28:32Ratschlag.
28:33Aber deswegen hat es mich erinnert.
28:35Aber das ist eigentlich falsch.
28:37Es gibt keinen Ratschlag.
28:38Du kannst die Guidelines sagen, oder?
28:40Also man soll das Leben fördern, man soll es nicht zerstören, zum Beispiel, oder?
28:45Man soll die Umwelt gut behandeln, denn sie sind ein Teil von dir.
28:48Also so Grundsatzsachen, die müssen gesagt werden, oder?
28:52Man soll lieben und nicht hassen und so Sachen.
28:56Aber nicht nachher konkret, was du jetzt als Schanett tun sollst.
29:00Das ist ein Übergriff, das geht nicht.
29:02Das weisst nur du und Gott.
29:05Und ich erinnere mich an eine Beerdigung, wo es um einen Selbstmörder ging,
29:08und da hat auch der Priester gesagt, nur Gott sieht alle Aspekte eines Menschen.
29:13Wir sehen alle nur Ausschnitte von einer Person.
29:16Auch von uns selbst sind wir nicht ganz schlüssig, wer wir sind,
29:19aber erst recht bei einer anderen Person,
29:21die wir nur in gewissen Kontexten sehen oder kennen.
29:24Und ein Urteil über die Handlung einer Person wäre nur möglich,
29:28wenn wir objektiv alles sehen, was nur Gott tut.
29:31Deswegen ist das Urteil in diesem Raum absolut kein Thema.
29:35Das hat er hervorragend gemacht.
29:36Dann gibt es Geschwätz, warum jemand sich umbringt oder nicht umbringt.
29:39Man kann es bei dem Mörder auch machen, genau das Gleiche, oder?
29:43Also das spielt gar keine Rolle, was die Sünde ist.
29:46Das Urteil über die absolute Objektivität ist uns entzogen in einer Handlung,
29:50weil wir nicht Gott sind, oder?
29:52Und von daher, wenn man das mehr leben würde und auch ernst nehmen würde,
29:57zum Beispiel in einem Gottesdienst,
29:59dann glaube ich, würde das den Menschen viel mehr helfen.
30:02Mein Verdacht ist einfach, dass das gar nicht viel erwünscht ist,
30:04auch nicht von den Leuten selber.
30:07Weil es, wie du sagst, es bringt dich ins Schwimmen.
30:10Du hast es so genannt, Schwimmen.
30:12Das finde ich ein interessantes Wort.
30:13Du musst dann selber quasi nicht absaufen, oder?
30:16Hast du das in der Analyse auch festgestellt,
30:18dass die Leute das zum Teil gar nicht wollen, bei sich ankommen?
30:22Ja, natürlich kommen sie in die Psychoanalyse,
30:24weil sie Psychoanalyse wollen,
30:25zumindest das, was sie irgendwie darunter verstehen.
30:28Und das ist oft auch das, was Psychoanalyse nicht ist, oder?
30:33Aber es braucht eine gewisse Zeit,
30:35quasi in dieses psychoanalytische Denken reinzukommen.
30:38Für viele ist am Anfang das freie Assoziieren, oder?
30:42Ich erkläre dann, es gibt drei Königswege.
30:45Die Leute kommen ja mit einem Symptom in die Psychoanalyse,
30:48und das heisst, man weiss nicht, wo die Ursache ist,
30:51die sie im Unbewussten...
30:52Die Psychoanalyse sagt ja, wir suchen Zugang zum Unbewussten,
30:57um die Ursache eines Symptoms zu erkennen.
30:59Also es gibt drei, das erkläre ich dann.
31:01Es gibt diese drei Königswege, die Freud gesagt hat,
31:04zum Unbewussten, die Fehlleistung, die freie Assoziation
31:09und der Traum mit der Traumdeutung.
31:12Die freie Assoziation, dann sage ich,
31:14sie können einfach sagen, was ihnen in den Sinn kommt.
31:16Auch wenn sie denken, sie müssen nachher noch schnell einkaufen gehen
31:20oder die Einkaufsliste vergessen haben.
31:23Meine Funktion ist, an dem roten Faden zu erkennen,
31:26welcher durch diese freie Assoziation geht.
31:28Aber diese freie Assoziation, schon das ist schwierig,
31:31das muss man zuerst lernen, weil das wurde einem ja abgewöhnt.
31:36Wenn ich das aufnehme, was du gesagt hast,
31:38wir enden als Kopie.
31:40Also das Original, das wüsste noch ganz viele Sachen,
31:43was jetzt mir da noch in den Sinn kommt,
31:45das verlernt man, weil das nie gefragt ist.
31:49Genau dieser Raum ist nicht gefragt.
31:52Und in der Psychoanalyse muss man das zuerst am Anfang überhaupt lernen,
31:57dass alles, was einem in den Sinn kommt,
32:00eine Wichtigkeit hat und eine Bedeutung.
32:04Also die Leute, oder wir sind so weit von uns entfernt selber,
32:07dass wir das wieder lernen müssen,
32:09dass wir mit uns in Verbindung treten quasi, oder wie muss ich sagen?
32:12Ja, also dieses, was uns alles durch den Kopf schwirrt,
32:16in diesem Moment,
32:18und es schwirrt uns ja immer wahnsinnig viel durch den Kopf,
32:22aber das ernst zu nehmen und in Sprache umzusetzen
32:25und jemandem zu sagen, ohne vorher zu zensurieren,
32:29nein, das gehört jetzt nicht in die Analyse,
32:31wenn ich jetzt da denke,
32:32nachher muss ich noch mit dem Kind zum Arzt oder so,
32:35das gehört nicht in die Analyse.
32:36Aber wir sagen, alles gehört in die Analyse, alles,
32:39weil es um den ganzen Menschen geht.
32:42Also diese Vorzensurierung,
32:45die oftmals gemacht wird in der analytischen Situation,
32:48dass man denkt, also das gehört jetzt nicht in die Analyse,
32:53das muss man zuerst wieder lernen.
32:55Also dass eigentlich der ganze Mensch dazu gehört,
32:58weil wir sind schon so konditioniert,
33:00was ist wichtig und was ist unwichtig,
33:02das kann man gar nicht unterscheiden,
33:04weil der Mensch, wie gesagt, so ein komplexes Wesen ist,
33:08das hat ja alles miteinander zu tun
33:10und alles steht mit allem in einem Prozess.
33:13In der Psychoanalyse versuchen wir,
33:15diesen Raum wieder zu eröffnen,
33:17also diesen Ich-Raum, sage ich jetzt,
33:20wieder zu eröffnen, also dass die freie Assoziation gelingt,
33:23dass man diesen Denk- und Phantasierraum wieder haben kann,
33:28weil der ist ganz wichtig.
33:30Ich frage mich eben, oder ich frage dich,
33:33wird der dann mit Worten vermittelt
33:36oder muss der Priester quasi fähig sein,
33:39diesen Raum zu schaffen in der Kirche?
33:41Das ist eigentlich unsere Funktion,
33:43diesen Raum immer wieder herzustellen.
33:47Ja, das ist genau das Gleiche im Gottesdienst,
33:49das heisst ja Gottesdienst.
33:51Die Liturgie ist sozusagen die Summe aller Handlungen,
33:54liturgische Handlungen,
33:56und das Ziel der Liturgie ist letzten Endes,
33:59ich würde das so formulieren,
34:01das hat der Papst ja mit der 16. Mal so gesagt,
34:03ist eigentlich eine Zimmerflucht herzustellen
34:06durch die Epochen bis zum Urereignis,
34:09die Einsetzung des Leibes Christi, von Jesus Christus.
34:12Und jetzt bist du Teil von der Mahlsgemeinschaft
34:16oder von der Essensgemeinschaft und Trinkgemeinschaft mit Jesus,
34:18du bist am Tisch mit ihm.
34:21Ach so, die Liturgie führt dich in diese Zimmerflucht immer dahin?
34:27Genau, also das ist eigentlich die katholische Variante.
34:30Die reformierte ist ein bisschen weniger mystisch,
34:33das ist ein Erinnerungsabend oder ein Erinnerungsmahlmorgen,
34:36also man erinnert sich an Jesus, wer der war, was der gesagt hat.
34:40Aber im katholischen ist es sehr wörtlich gemeint,
34:42also du bist in diesem Moment mit Jesus zusammen,
34:45deswegen ist es ein Gottesdienst und kein Menschendienst, oder?
34:49Und interessant ist eben, wenn ich dann das Brot zu mir nehme,
34:52dann nimmt dieses Brot, das ist mein Leib,
34:54nimmt diesen Wein, das ist mein Blut,
34:57dann verbinde ich mich auch leiblich mit Gott sozusagen
35:01und das ist im Prinzip wie eine kleine Hochzeit, oder?
35:05Und in diesem Moment bin ich nicht mehr einfach das normale Alltagsgeschäft,
35:09was ich sonst bin, bevor ich da reinkomme, oder?
35:13Und das soll mich daran erinnern, dass alles viel grösser ist,
35:15dass alles viel wichtiger ist und komplizierter auch und geheimnisvoller.
35:20Meine Lieblingspassage ist ja, in jeder Liturgie,
35:23jeden Tag sagt man Geheimnis des Glaubens.
35:27Deinen Tod verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir,
35:30bis du kommst in Herrlichkeit.
35:32Aber der Anfang ist immer Geheimnis des Glaubens,
35:35nicht Rätsel des Glaubens, Philosophie des Glaubens,
35:38Ideologie des Glaubens oder Politik des Glaubens,
35:41Geheimnis des Glaubens.
35:44Das heißt, es ist auch da wieder die Aussage,
35:46unser Gehirn ist zu klein, oder, um herauszufinden,
35:49woher werde ich wirklich kommen?
35:50Der Ursprung ist viel mystischer.
35:52Und ich habe mal einen wunderbaren Vortrag gelesen von Karl Rahner,
35:55einer meiner Lieblingstheologen, der geschrieben hat,
35:58das Wesen der Theologie als der Versuch mit Vernunft
36:02die Geheimnisse Gottes sozusagen zu erklären,
36:05die vergessen die Theologen oft, dass die erste Regel lautet,
36:08jede Aussage über Gott ist unendlich viel kleiner als Gott.
36:13Und das weiss man zwar rein theoretisch,
36:15wenn man das Studium macht, aber das vergisst man dann
36:17nach zehn Minuten, wenn man selber etwas schreibt dazu, oder?
36:21Und das sollte man als Prediger wissen, als Liturge,
36:24das sollte man als Papst wissen und auch als Bischof
36:27und als normaler Seelsorger.
36:28Alles ist viel geheimnisvoller.
36:30Die Aussagen, die wir machen, sind immer viel zu klein.
36:33Und das gilt ja dann wohl auch für die Psychoanalyse.
36:36Wenn ich einen Menschen höre, der irgendwas von sich redet,
36:38dass ich mir doch bewusst bin,
36:40das ist ja alles nicht erfassbar in all diesen Kategorien,
36:43das geht ja nicht.
36:44Und was mich oft beschäftigt in diesem Zusammenhang ist ja doch,
36:47eigentlich weisst du es aus vielen Gesprächen,
36:50dass die das erfahren, dass die Leute das nicht wollen.
36:53Die wollen nicht, dass man ihnen sagt,
36:56es gibt keine Antwort, die auf dich genau passt.
36:59Und dass man ihnen sagt, du bist grösser als das Alltags-Ich,
37:02das die Leute von dir brauchen.
37:04Das wollen die nicht hören.
37:06Die wollen eine klare Checkliste.
37:09Das musst du machen, das musst du nicht machen.
37:11Das erklärt ja auch den Erfolg von ganz dummen Religionen,
37:14die eine Checkliste anbieten.
37:16Wenn du diese Punkte erfüllst, kommst du in den Himmel.
37:18Wenn du das machst, kommst du in die Hölle.
37:20Diese Sekten, oder?
37:22Das ist ja sehr erfolgreich.
37:24Das ist wahnsinnig erfolgreich.
37:27Und aus diesem Bedürfnis von Menschen,
37:29eine Checkliste zu bekommen, oder?
37:32So wie Leute, die zu dir kommen wahrscheinlich und sagen,
37:34sagen sie mir, was ich jetzt machen muss.
37:37Was ich eben auch noch dazu anmerken möchte, ist,
37:42das setzt ja immer einen ungenügenden Menschen voraus.
37:46Also diese Checklisten, seien sie in der Psychotherapie
37:50oder in diesen religiösen Ratgebern,
37:53setzt immer ein ungenügendes Menschen voraus.
37:55Ich sage nicht, der Mensch ist vollkommen, überhaupt nicht.
37:57Das Gefühl des Ungenügens,
38:00das wird in diesen Psychotherapiearten vorausgesetzt.
38:04Das ist eine Prämisse,
38:05weil die sagen dann, was man zu tun hat,
38:09um in dieses Genügen reinzukommen und genügend zu sein.
38:16Und diese Ratgeber oder diese psychotherapeutischen Methoden
38:19oder auch viele spirituellen esoterischen Methoden
38:23bauen auf dem Ungenügen auf.
38:26Und wenn jemand zuerst mal in ein Ungenügen versetzt wird,
38:31dann lächst er quasi nach Ratschlägen oder nach Hinweisen,
38:36wie man so schnell wie möglich wieder aus diesem Ungenügen herauskommen kann.
38:41Also man verspricht dem Menschen, dass man das Gefühl, das man hat,
38:44man sei nicht in der Fülle des Lebens, die Formel ist jetzt mal positiv, oder?
38:49Wir können dir helfen, wir können dich in diese Fülle bringen, oder?
38:51Ja, genau.
38:53Wir können dir helfen, wir können dich in die Fülle bringen,
38:55wir können dich erlösen.
38:59Und da gibt es unendlich viele therapeutische Angebote,
39:04die das machen, oder Ratgeber auch, Bücher.
39:07Aber die setzen das Ungenügen voraus, und das macht eben die Psychoanalyse nicht.
39:12Also wir sagen nicht, der Mensch ist ein Ideal und vollkommen
39:16und ein paradiesischer Gestalt, überhaupt nicht, oder?
39:19Aber das Ungenügen ist eine Position der Demütigung, der Entwertung.
39:25Was ist denn die Prämisse dort bei der Psychoanalyse?
39:27Also es gibt mehrere Prämissen, die ich jetzt aus dir herausgehört habe.
39:30Erstens, es gibt ein Unbewusstes.
39:32Das ist eine Prämisse, das ist 100 Prozent, oder?
39:35Das ist einfach eine Kategorie, die nicht einmal Freude erfunden hat,
39:38sondern vorher war das in der Kunst, in der Kultur gang und gäbe.
39:42Okay, also es ist...
39:42Man kann nicht sagen, es ist so.
39:45Es ist einfach eine Schablone, mit der man bis heute gut arbeiten kann.
39:49Genau, ja, ja, aber...
39:50Viele sagen ja auch unterbewusst, fälschlicherweise,
39:53weil Unbewusstheit ist einfach nicht bewusst,
39:55aber unterbewusst ist quasi schon hierarchisch.
39:58Da ist etwas unten und das andere ist oben.
40:01Das habe ich eben auch mal gelesen,
40:02man soll nie unterbewusst sein, man soll unbewusst sein.
40:05Ja, ja, einfach nicht bewusst heissen.
40:07Aber mit Prämissen meine ich ja Arbeitsinstrumente, das Verstande.
40:10Ich meine nicht Wahrheitsansprüche im Sinne der totalen Wahrheit.
40:12Also das heisst Prämissen, der Mensch hat etwas Unbewusstes.
40:15Er ist ein Original.
40:17Ja.
40:18Es gibt keine Möglichkeit, ihm zu sagen, was für mich gilt, gilt auch für dich.
40:22Ja.
40:22Das geht nicht.
40:23Ja, das geht nicht.
40:24Also du hast viele Prämissen, viele, mit denen du arbeitest, oder?
40:27Und jetzt ist nur noch die Frage, ob die stimmen.
40:31Weil wenn sie nicht stimmen, ist natürlich die Analyse falsch.
40:34Ist klar, ne?
40:35Für mich leuchten die alle ein.
40:37Ja.
40:37Also dass der ein Original ist, dass mir vieles nicht bewusst ist,
40:40das leuchtet mir völlig ein, oder?
40:43Und ich behandle auch religiöse Dogmen,
40:45also in meiner Kirche, als Arbeitsprämissen.
40:48Also der Mensch ist gewollt.
40:51Mhm.
40:52Der Mensch ist geliebt von dem, der es gewollt hat.
40:55Der Geist ist real.
40:57Es ist keine Einbildung, es ist keine Energie,
40:59es ist kein Gehirnprodukt, es ist keine Materie.
41:02Es ist Geist.
41:05Die geistige Intelligenz, die mich gewollt hat,
41:07die immer unendlich viel grösser ist als alle Sprache, oder?
41:11Hat mich gern, hat mich nicht nur gewollt, hat mich sogar gern.
41:14Und es will, dass ich das Leben in Fülle habe.
41:18Und es will, dass ich mich nicht erhebe über andere, und so weiter.
41:20Das sind alles für mich Prämissen, oder?
41:23Das ist nicht die totale Wahrheit.
41:25Aber diese Prämissen brauche ich, um zu kommunizieren,
41:29und auch, um herauszufinden,
41:30ist das jetzt ein guter oder ein schlechter Bischof.
41:34Ich urteile dann darüber, oder?
41:36Ich sage, der hält sich da aber nicht.
41:38Der weiß jetzt, was gut für mich ist, oder?
41:40Wieso weiß der das?
41:43Er kann nur sagen, du sollst das Leben in Fülle haben, oder?
41:45Also er kann nur Grundsätze sagen, oder?
41:49Oder es ist eine Sünde, das Leben nicht zuzulassen, kann er auch sagen.
41:53Heisst aber nicht konkret, du musst jetzt Kinder haben,
41:55das wäre jetzt dein Beispiel, oder?
41:57Das Leben in Fülle verwirklichen kann auch etwas anderes sein,
42:01kann auch geistig sein, psychologisch sein,
42:02kann auch ein Sozialwerk sein, wie auch immer es ist, oder?
42:07Das meine ich.
42:08Ich kann schon als Seelsorger einer Frau sagen,
42:09es ist gut, das Leben weiterzugeben,
42:11weil das Leben soll sich weiter fortpflanzen.
42:13Aber ich kann nicht sagen, in diesem konkreten Fall,
42:16du musst jetzt gebären, oder?
42:18Das ist wie ein Übergriff ins Konkrete,
42:21was denn wirklich nur Gott etwas angeht, oder?
42:24Wer weiss als ich, ob diese Frau nicht anders fruchtbar ist?
42:28Durch die Arbeit, durch irgendetwas.
42:30Der Punkt ist eben das, oder?
42:31Und was mich besonders ärgert als Katholik ist,
42:34dass ich weiß, dass die katholische Kirche
42:36genau diesen Unterschied immer wieder nicht macht, oder?
42:39Diesen Unterschied zwischen dem konkreten, allgemeinen Prinzip,
42:44was eine Arbeitsinstrumente eigentlich ist,
42:47und dem besonderen Fall, an dem man dann eigentlich wegurteilt.
42:51Das geht nicht, das ist ein Übergriff.
42:54Und meine Erfahrung ist auch,
42:55dass viele Menschen, die auf die Kirche wütend sind,
42:57aus diesem Grund zu Recht auch wütend sind,
42:59weil sie dort eben schlecht behandelt wurden,
43:01dass man sich quasi eben abgeurteilt hat,
43:05ohne Mandat, ohne Rechtfertigung,
43:08ohne ein Recht von Jesus bekommen zu haben, das zu tun,
43:12weil er selber das ja auch nicht tut.
43:13Also das ärgert mich immer ganz besonders, weisst du?
43:18Zum Beispiel, wenn du jetzt von einem Psychoanalytiker hörst,
43:20der alle Prämissen über Bord schmeisst, oder?
43:24Und ich kann mir eben vorstellen,
43:25in der Psychoanalyse ist es auch umgekehrt.
43:29Die gute Psychoanalyse sagt nicht, was gut für den anderen ist,
43:32weil wir das als Psychoanalytiker ja überhaupt nicht wissen.
43:35Wie sollten wir das wissen, oder?
43:37Wir haben ja keine Ahnung, was gut für den anderen ist.
43:41Und das könnte ich mir auch vorstellen,
43:43um nochmals auf die Aggression zurückzukommen.
43:46Wenn wir eben nicht sagen, was gut für den anderen Menschen ist,
43:51dann fühlen sich eben viele dort nicht ernst genommen und verloren.
43:55Und ich glaube, das kann zu grosser Wut führen,
43:58weil wir sie quasi nicht beliefern mit dem,
44:02was sie wahrscheinlich von Kindsbeinen an schon gewohnt sind,
44:06dass sie nämlich falsch sind.
44:07Und es gibt es genau Direktiven, die sind falsch,
44:11und das müssen sie machen.
44:12Dann werden sie bessere Menschen und so weiter, oder?
44:15Also, wenn das nicht geliefert wird,
44:18dann kann man wütend auf die Psychoanalyse werden,
44:21gerade weil sie das nicht liefert.
44:23Aber sie bietet eben etwas anderes.
44:25Und sie bietet auch durch das Anfangsdurcheinander
44:28und das Anfangsschwimmen, bietet sie einen geschützten Raum,
44:32um diese Freiheit sich wieder erarbeiten zu können.
44:36Und dann fehlen auch die Symptome weg,
44:38also dann fehlt auch das Leiden weg.
44:41Wir können ja dann das ablesen, wenn wir schon bei Wahrheit sind, oder?
44:47Es gibt ja die objektive Wahrheit nicht, sind wir uns ja einig, oder?
44:50Aber es gibt, wir können es ja ablesen,
44:53ob das funktioniert, die Psychoanalyse,
44:55können wir am Wohlbefinden des anderen ablesen.
44:59Und Wohlbefinden heisst nicht einfach,
45:02dass er leistungsstark ist und so weiter,
45:04sondern Wohlbefinden, das müssen wir wie neu auch wieder anfangen nachzudenken.
45:09Was heisst eigentlich Wohlbefinden, oder?
45:12Oder Wohlstand, Wohlstehen.
45:16Wohlstand kommt ja von Wohlstehen.
45:19Also, was heisst das eigentlich?
45:21Das heisst nicht, dass ich mir ein Auto leisten kann und so,
45:23bist du mit mir wahrscheinlich einig, oder?
45:25Sondern, dass da, wo ich stehe, ich wohlstehe
45:29und das Recht habe, wenn ich nicht mehr wohlstehe,
45:32mir das wieder so einzurichten, dass ich wieder wohlstehe.
45:36Absolut, ja, aber das wird ja heute nur noch finanziell verstanden,
45:39also materiell, oder?
45:41Ja, es ist immer dieses Argument, das verstehe ich,
45:43das macht mich immer so ärgerlich, wenn das kommt,
45:46wir müssen, wenn wir die Welt verbessern würden,
45:49oder das Klima oder so, müssen wir vom Wohlstand etwas abgeben.
45:55Aber das heisst, wir müssen ja nur vielleicht
45:57vom Konsum etwas abgeben, oder so, oder?
46:01Und das schadet ja niemandem, oder?
46:03Das Wohlstehen wird falsch verbunden, oder?
46:07Weisst du, dieses Gerede ist für mich so sehr geheuchelt,
46:09weil die, die das sagen, also die das verlangen,
46:13das sind ja auch Klimaaktivisten oder Gerechtigkeitsapostel
46:17auf der Linken oder auf der Rechten, wo auch immer,
46:19das sind ja die, die gar nicht so leben in der Regel,
46:22die chatten um die Welt viel mehr als ich,
46:24die haben Autos, nicht nur eins, meistens zwei,
46:28und die haben ein gutes Einkommen meistens,
46:30die leben eigentlich total kapitalistisch.
46:33Und schwafeln von Verzicht, oder?
46:35Aber die verzichten selber ja gar nicht,
46:36gerade die Politiker nicht, die ja fast jeden Tag fliegen.
46:39Also, Entschuldigung, das ist so ein Geheuchel,
46:42ich kann das aber überhaupt nicht ernst nehmen.
46:44Bei meiner Mutter Therese konnte man sagen,
46:46gut, die ist jetzt wirklich nach Indien gegangen
46:48und hat dann dort auch gelebt und war dann nicht im Hotel
46:50und hat dann dreimal im Tag irgendwie ein Auto genommen,
46:53sondern die hat nie ein Auto genommen.
46:55Und ich weiss, es gibt eine Geschichte über sie,
46:57wo der Papst hat sie mal besucht mit seinem Papamobil,
47:00und er hat gehört, sie sei jetzt gebrechlich,
47:03sie könne nicht mehr richtig laufen.
47:05Und er wollte sie treffen und sie hat dann zurückgemeldet,
47:07sie hätte keine Zeit, sie muss sich um die Arme kümmern,
47:09das ist ihre Arbeit.
47:11Und er hat das respektiert und hat ihr das Papamobil dagelassen,
47:15weil er wusste, sie kann nicht gut laufen.
47:17Und was hat sie gemacht? Sie hat es sofort verkauft
47:19und hat es wieder investiert.
47:21Aber die hat jetzt gemacht, was sie gesagt hat.
47:24Aber die heutigen Politiker,
47:26die spielen Mutter Therese auf Staatskosten eigentlich, oder?
47:29Sind immer schön abgesichert und so.
47:31Also eine Merkel kann schon sagen, wir schaffen das.
47:33Ja, sie schafft das, sicher, ja.
47:36Sie hat viel Geld und ist da irgendwo abgesichert.
47:39Das finde ich so widerlich,
47:40wenn Menschen, die keinen Preis dafür zahlen,
47:43sich als gute Menschen darstellen, öffentlich.
47:46Aber nicht den Preis zahlen, oder?
47:48Ich habe großen Respekt vor allen, die wirklich verzichten.
47:51Ja, also die sagen, ich esse jetzt kein Fleisch mehr,
47:54oder ich gehe jetzt nicht mehr fliegen, oder was auch immer.
47:57Das ist eine ernsthafte Haltung,
47:59die kann man wirklich, finde ich, auch respektieren und ernst nehmen.
48:01Und das ist vielleicht sogar ein Vorbild für viele.
48:04Ich bin auch dafür, weniger Konsum.
48:05Aber dann muss ich das zuerst machen, oder?
48:08Ich muss weniger konsumieren.
48:10Ja, stimmt.
48:11Und ich kenne wenig, die dann bei sich anfangen, weisst du?
48:14Es gibt ja diese Tendenz,
48:15dass man zuerst von anderen das alles erwartet
48:18und ein Gesetz will,
48:19das dann die Leute verpflichtet, nicht zu fliegen oder weniger zu fliegen,
48:23bevor sie selber weniger fliegen, oder?
48:26Das ist doch eine Heuchelei, ja so.
48:28Ich meine, das kann man doch nicht ernst nehmen.
48:31Wieso muss der Staat überhaupt angerufen werden?
48:34Aber vielleicht ein Gedanke noch zu diesem Thema.
48:36Könnte es sein, dass der Wunsch in der Psychoanalyse
48:39und auch beim Seelsorger leider oft,
48:41dass man sagt, ich möchte eine Checkliste, oder?
48:45Weil ich habe so gelernt als Kind,
48:47dass das das Gleiche ist, wie eben, dass man den Staat anruft,
48:50bevor irgendwas passiert,
48:52weil man selber gar nicht bei sich ist und zwar nie bei sich ist.
48:56Weil man immer ausserhalb irgendwie den Ratgeber, den Seelsorger,
49:00den Analytiker, was auch immer, braucht, oder eben den Staat,
49:04der einem sagt, was man tun muss.
49:07Dass die Leute das so verinnerlicht haben,
49:09dass sie wirklich eigentlich immer ausserhalb suchen.
49:13Kann das sein, dass es da ein Problem ist, auch kulturell?
49:17Ja, das leuchtet mir ein, was du sagst.
49:20Das ist auch die Tendenz, die zunimmt.
49:23Ich frage mich dann eben als Psychoanalytikerin,
49:26also sucht man da letztendlich Bindung einfach ohne sich, oder?
49:32Also wenn man immer im Aussen das sucht und sich selbst aufgibt,
49:37dann ist das doch eine Wiederholung oder ein Versuch,
49:40Bindung herzustellen, ohne sich damit dabei zu haben.
49:45Das ist ja interessant. Ja, das könnte noch sein.
49:48Also so wie Woody Allen mal gesagt hat,
49:50er hätte keine Angst vor dem Sterben,
49:51er möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert.
49:55So, oder? Ich möchte nicht dabei sein, aber ich möchte Bindung.
50:00Diesen Wunsch hat man, weil das scheinbar weniger verwirrend ist,
50:03wenn man nicht bei sich ist. Oder warum?
50:06Nein, ich weiss jetzt nicht. Die Idee ist mir eben jetzt gekommen,
50:09als du das gesagt hast.
50:11Ich habe noch nie in diesem Sinne darüber nachgedacht,
50:13aber ich könnte mir vorstellen, wenn man Bindung sucht,
50:17wir brauchen alle Bindung.
50:18Also das ist wie eine Prämisse, die wir setzen können.
50:21Wir suchen alle Bindung.
50:23Wenn ich sie unter Ausschluss von mir selbst suche,
50:27dann könnte es sein, dass ich das einfach gewohnt bin.
50:30Also dass es Bindung gibt, nur unter der Voraussetzung,
50:34also ich bin da kein autonomes Wesen innerhalb dieser Bindung.
50:38Also kenne ich Bindung eigentlich nur in der Selbstauflösung meiner selbst.
50:44Oder in der Auflösung meiner selbst.
50:46Also zum Beispiel in der Sexualität schlägt sich das ja nieder, oder?
50:50Also sagt man, der Mann ist der Aktive, der Mann penetriert natürlich.
50:54Das kann die Frau nicht.
50:55Aber in diesem Sinne wird ihm etwas Mächtiges, etwas Kräftiges,
51:00etwas Aggressives, jetzt im positiven Sinn gemeint, zugesprochen.
51:04Und die Frau ist die sich Hingebende, oder?
51:09Und das stimmt einfach nicht, oder?
51:12Also das ist eigentlich völlig verrückt, weil das stimmt gar nicht.
51:16Klar, die Frauen können nicht penetrieren,
51:18aber sie haben eine andere Art der Aggression
51:23in diesem positiven Sinn, in diesem sexuellen Spiel.
51:28Ja, also die Hingabe ist nicht passiv.
51:31Das ist das Problem, oder? Hingabe wird ja passiv verstanden.
51:34Aber es ist gar keine Passivität.
51:35Im Gegenteil, das ist im Prinzip auch eine Verführungskunst, oder?
51:39Ja, hingeben heisst nicht aufgeben, oder?
51:42Ja, und es ist kein Passivum, es ist eine Aktivität, oder?
51:45Ich wollte mit diesem sexuellen Beispiel, das ja alle kennen,
51:48das immer noch so gedacht wird, auch praktiziert wird,
51:51dass hingeben aufgeben bedeutet, dass das ja schon zeigt,
51:56da muss etwas ausserhalb vorbleiben, hat keinen Platz in der Bindung.
52:02Interessant.
52:03Und wenn nämlich alles Platz hat in der Bindung,
52:05was wir jetzt in der Psychoanalyse praktizieren,
52:08weil wir sagen, erzählen Sie alles, was Ihnen durch den Kopf geht,
52:12dann hat eben alles Platz, nicht unter Ausschluss von irgendwelchen Sachen.
52:17Also ich glaube, ich würde das dahingehend zurückführen.
52:22Ja, wir sind schon am Ende wieder von dieser zweiten Stunde.
52:24Ich würde vorschlagen, wir machen mal einen Talk zum Thema Bindung.
52:27Das haben wir auch noch nie gemacht. Können wir uns überlegen?
52:30Ja, das haben wir noch nie gemacht. Dann finde ich das eine gute Idee.
52:34Gute Idee. Also, wir machen das mal. Wann genau sehen wir dann?
52:38Aber zuerst danke für diese Stunde.
52:40War echt super, wieder mit dir zu sprechen.
52:42Es ist immer eigentlich für mich unglaublich belehrend auch.
52:44Ja, ich danke auch dir, Giuseppe, für mich auch.
52:47Ich lerne viel und es eröffnet mir immer einen Denkraum.
52:50Und das finde ich einzigartig. Ja, danke.
52:54Und Ihnen danke ich fürs Zuhören.
52:55Ich hoffe, Sie sind auch nächstes Mal wieder dabei.
52:57Das waren die Menschenbilder im Kontrafunk.
52:59Mein Name ist Giuseppe Grazia und ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
53:10Untertitel im Auftrag des ZDF für funk, 2017
53:40Untertitel im Auftrag des ZDF für funk, 2017

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