CDU-Chef Friedrich Merz hat die Aussagen von US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz.über den angeblichen "Rückzug" der Meinungsfreiheit in Europa kritisiert. "Wir haben hier eine dezidiert andere Meinung", sagte er DW-Korrespondentin Michaela Küfner im DW-Exklusiv-Interview.
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NewsTranskript
00:00Und bei mir ist Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der CDU-CSU.
00:03Herr Merz, Sie hatten Ihr bilateral, Ihr Meeting eins zu eins mit dem US-Vizepräsidenten Vance,
00:08bevor er hier auf offener Bühne den Europäern, aber auch spezifisch den Deutschen erklärt hat,
00:13dass es keinen Platz für eine Brandmauer nach rechts gibt.
00:17Hat sich das im Gespräch schon angedeutet und was ist Ihre Reaktion?
00:20Wir haben über ganz andere Themen miteinander gesprochen.
00:23Wir haben vor allen Dingen über die Frage der Verteidigungsfähigkeit Europas gesprochen.
00:27Wir haben über die Ukraine gesprochen.
00:28Wir haben über Zölle gesprochen, nur ganz kurz über die innenpolitische Lage in Deutschland.
00:34Die Rede war für mich trotzdem keine Überraschung, weil er das in einem Interview schon angekündigt hatte,
00:39dass er uns hier auch eine öffentliche, wie soll ich sagen, Lektion erteilt,
00:44wie wir mit politischen Parteien in Deutschland umzugehen haben
00:47und wie wir auch mit dem Populismus umzugehen haben.
00:50Und da muss ich sagen, da haben wir eine dezidiert andere Meinung.
00:53Wie werden Sie jetzt darauf reagieren?
00:54Er hat ja auch gesagt, dass die Institutionen nicht so wichtig sind wie Mehrheiten.
01:00Das ist ja im Prinzip auch ein Infragestellen von Verfassungen,
01:04die sich auch darum bemühen, Mehrheiten zu integrieren.
01:07Wie werden Sie dem entgegnen?
01:09Ja, wir haben ja heute wirklich ein historisches Datum.
01:13Die amerikanischen Sicherheitsgarantien werden infrage gestellt
01:16und die Amerikaner stellen demokratische Institutionen infrage.
01:21Sie mischen sich ganz offen ein in eine Wahl,
01:25auch in einen Umgang mit demokratischen Parteien und ihren Mehrheiten.
01:29Und ich muss sagen, das irritiert mich.
01:32Es überrascht mich nicht, weil es angekündigt war,
01:34aber ich weise es auch entschieden zurück.
01:36Das ist nicht die Aufgabe der amerikanischen Regierung, uns hier zu erklären,
01:39wie wir in Deutschland demokratische Institutionen zu schützen haben.
01:43Wir werden unseren Weg weitergehen.
01:45Sie haben es schon angedeutet, die USA haben auch angekündigt,
01:48dass sie sich militärisch zurückziehen wollen.
01:50Haben Sie mehr Details bekommen, was das konkret bedeutet?
01:53Und wie weit wird sich Deutschland engagieren,
01:56das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit zu kompensieren?
01:59Ich habe Vizepräsident Vance einen Vorschlag gemacht.
02:02Wenn die amerikanische Regierung mit der russischen Regierung sprechen sollte,
02:06dass dann in jedem Falle die Europäer zusammen mit der Ukraine daran beteiligt werden
02:10und dass auch im Vorfeld eines solchen Gesprächs von der russischen Seite erwartet werden sollte,
02:15dass sie eine Feuerpause einlegen, dass sie einen Waffenstillstand versprechen,
02:20bevor verhandelt wird.
02:21Das wäre ein gutes Zeichen der russischen Seite,
02:24dass sie wirklich ernsthaft an einem Frieden in der Ukraine interessiert ist.
02:28Aber für uns muss klar sein, wir, die Europäer, stehen an der Seite der Ukraine
02:32und wir wollen auch mit Amerika zusammen hier Wege eröffnen zum Frieden in Europa.
02:37Denn darum geht es. Das ist nicht nur die Ukraine.
02:40Das ist der Frieden in Europa vor einer russischen Aggression,
02:44die uns hier auch in Deutschland jeden Tag erreicht mit der Gefährdung unserer Infrastruktur,
02:49mit der Gefährdung unserer Datennetze, mit der Gefährdung von Datenkabeln durch die Ostsee.
02:54Das ist Russland und insofern sind wir hier an einem gemeinsamen europäischen Vorgehen interessiert
02:59und wir sollten die Amerikaner einladen daran teilzunehmen.
03:02Wenn sie das nicht wollen, dann müssen wir es auch alleine können.
03:05Wie sicher sind Sie sich nach den Gesprächen, die Sie heute hatten,
03:08dass Europa und dass die Ukraine überhaupt einen Platz am Tisch dieser Verhandlungen
03:12für einen Frieden der Ukraine überhaupt haben werden?
03:14Die Ukraine hat den Kandidatenstatus bekommen als potenzieller zukünftiger Mitgliedstaat der Europäischen Union.
03:21Dabei wird es nach dem Willen der Europäischen Union bleiben.
03:25Das ist kein Thema, wo die Amerikaner ein Mitentscheidungsrecht beanspruchen dürfen.
03:30Wir werden im Mai einen NATO-Gipfel haben.
03:33Auf diesem NATO-Gipfel muss dann gegebenenfalls auch über Änderungen gesprochen werden
03:36gegenüber dem Beitrittsstatus der Ukraine.
03:39Aber das sind Themen, die wir dann erst im Frühsommer zu besprechen haben.
03:43Heute gilt, die Europäer werden sehr viel mehr für ihre eigene Sicherheit tun müssen.
03:47Das ist seit Trump 1 klar. Das hätten wir tun müssen.
03:51Jetzt ist die zweite Trump-Administration im Amt.
03:54Jetzt wird es Zeit. Wir müssen handeln.
03:57Das Potenzial für Führung sieht JD Vance ja ganz klar auch in den populistischen rechtsgerichteten Parteien in Europa.
04:04Sie selbst haben angekündigt, dass Sie Deutschland von einer schlafenden Mittelmacht zu einer führenden Mittelmacht machen wollen.
04:11Wie konkret stellen Sie sich bei dieser US-Administration das vor?
04:15Nun, ich habe ja auch viele Gespräche im Laufe des Tages heute und es werden weitere morgen folgen mit europäischen Staats- und Regierungschefs.
04:24Sie alle erwarten von Deutschland eine stärkere Führungsverantwortung.
04:28Ich habe das immer wieder angemahnt.
04:30Deutschland ist mit Abstand das bevölkerungsreichste Land Europas.
04:33Deutschland liegt in der geostrategischen Mitte des europäischen Kontinents.
04:37Wir müssen diese Rolle ausfüllen.
04:39Wir müssen sie mit anderen zusammen wahrnehmen.
04:42Wir müssen sie mit Frankreich, mit Polen zusammen wahrnehmen.
04:45Europa erwartet von Deutschland Führung.
04:48Und gerade in einer solchen Situation, wo Amerika sich schrittweise zurückziehen wird, vielleicht ganz zurückziehen wird, wir wissen es noch nicht.
04:55Jetzt ist es wirklich Zeit.
04:57Europa muss aufwachen und muss die Verantwortung für die eigene Sicherheit selbst in die Hand nehmen.
05:02Und noch ganz zum Schluss.
05:04Die USA haben ja im Prinzip 5 Prozent als Ausgabenziel für die Verteidigung jetzt ausgegeben.
05:10Inwieweit werden Sie sich da gegenüber den Amerikanern, gegenüber der NATO verpflichten?
05:14Und was werden Ihre konkreten Schritte sein, sollten Sie Bundeskanzler werden?
05:19Denn es sieht ja danach aus, wenn man den Umfragen Glauben schenkt.
05:22Es gibt eine NATO-Vereinbarung, die lautet mindestens 2 Prozent.
05:27Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass 2 Prozent nicht reichen.
05:31Aber wenn es eine neue NATO-Vereinbarung gibt, dann muss es eine NATO-Vereinbarung sein.
05:35Und das wird dann im Juni auf dem NATO-Gipfel in Den Haag zu besprechen sein.
05:39Hier gibt es nicht einseitige Vorgaben eines NATO-Mitgliedes, sondern es gibt eine gemeinsame Beschlussfassung aller NATO-Mitgliedstaaten.
05:46Dazu gehört auch Deutschland, dazu gehören viele Europäer, dazu gehört auch Großbritannien außerhalb der Europäischen Union.
05:51Also wir werden uns unter den Europäern verständigen müssen, welchen Weg wir gemeinsam gehen.
05:56Und dann muss es eine Verabredung geben mit der amerikanischen Seite.
06:00Aber wir lassen uns hier keine Vorgaben machen, denen wir einfach folgen.
06:03Wie würden Sie den Moment bezeichnen, den Sie hier gerade in München erleben?
06:07Das ist historisch. Und diese Sicherheitskonferenz des Jahres 2025, die werden wir auch in einigen Jahren noch als einen tiefen Einschnitt empfinden.
06:17Was daraus dann allerdings wird, das ist dann eine Sache der Europäer.
06:21Und die müssen jetzt wirklich, ich wiederhole mich, aufwachen und ihre eigenen Interessen definieren, sie in die Hand nehmen und sie auch wirklich wahrnehmen.
06:29Friedrich Merz, Spitzenkandidat der CDU CSU, herzlichen Dank.