Analyse: Kickl will jetzt Kanzler werden | Wahl 24

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Es ist ein historischer erster Platz für die FPÖ bei der Nationalratswahl 2024. Verluste dagegen für ÖVP und SPÖ. Die Neos haben die Grünen vom vierten Platz gestoßen. Wie es dazu gekommen ist, erklärt STANDARD-Chefredakteur Gerold Riedmann
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00:00Österreich hat gewählt. Die Hochrechnungen zur Nationalratswahl 2024 zeigen folgendes Ergebnis.
00:07Auf Platz 1 die FPÖ zum ersten Mal in der Geschichte.
00:11Auf Platz 2 die ÖVP, gefolgt von der SPÖ.
00:14Auf Platz 4 die NEOS. Sie haben die Grünen auf den fünften Platz verwiesen.
00:19Und bei den kleinen Parteien zeichnet sich nicht ab, als würde eine in den Nationalrat einziehen können.
00:24Wie dieses Ergebnis zu bewerten ist, das besprechen wir jetzt mit Gerold Riedmann.
00:29Er ist Chefredakteur vom Standard.
00:36Gerold, die Umfragen haben es seit einem Jahr vorweggenommen.
00:40Herbert Kickl hat es geschafft, auf Platz 1 zu kommen mit der FPÖ. Worauf führst du das zurück?
00:45Und noch wesentlich klarer, als ihm das ursprünglich auch zugetraut wurde.
00:48Herbert Kickl hat es verstanden, meisterlich möchte ich am Anfang,
00:52aber Achtung, da kommt natürlich gleich auch ein Wenn und Aber,
00:54meisterlich unterschiedliche Zielgruppen unterschiedlich anzusprechen.
00:58Einerseits die eigenen Anhänger, jene, die sowieso schon sicher im eigenen Lager geglaubt werden.
01:03Die werden mit knallharten Botschaften über Telegram, über direkte Kanäle, über Messenger versorgt.
01:08Und am Straßenrand sehen wir einen freudig lächelnden Herbert Kickl,
01:12der uns fünf weitere gute Jahre verspricht.
01:15Aber der FPÖ abzunehmen, dass es nur fünf gute Jahre abgesehen hat, das wäre grob fahrlässig.
01:20Die ÖVP landet auf dem zweiten Platz. Ist das eine bittere Niederlage für Bundeskanzler Karl Nehammer?
01:26Ja, es war schon bisher für alle in der ÖVP schwer zu verkraften,
01:30dass die glorreichen Glanzjahre des Sebastian Kurz vorbei sind.
01:33So eine richtige Abschottung zu dieser Zeit wurde auch bis heute nicht vorgenommen.
01:37Und so ist Karl Nehammer, der ja eigentlich diese Position des Bundeskanzlers nie angestrebt hat,
01:42aber ins Regieren wohl hineingefunden hat, muss jetzt verteidigen, warum so viel verloren wurde.
01:48Also jedenfalls diese Erzählung von, es ist ein ganz knappes Rennen,
01:52es wird sich innerhalb der Schwankungsbreite bewegen.
01:54Und auch das, dass man viele Positionen der FPÖ nachgeplappert hat, das ist sich nicht ausgegangen.
02:00Die Aufholjagd ist nicht gelungen. Auch nicht gelungen ist sie bei der SPÖ.
02:04Andreas Babler, der die Partei vor nicht allzu langer Zeit übernommen hat,
02:07hat die SPÖ nur auf den dritten Platz geführt. Was ist da schiefgelaufen?
02:11Ja, es ist ein rotes Desaster, das am heutigen Tag passiert ist.
02:14Und die Roten haben im Vorfeld schon alles getan, um Schuldige auszumachen.
02:18Wir Medien, insbesondere der Standard, wir hätten Andreas Babler heruntergeschrieben.
02:22Aber genauso wie ich fest davon überzeugt bin, dass Medien weder einen Kandidaten maßlos hinauf
02:27oder in der Art und Weise herunterschreiben können,
02:30als dass es wirklich das schlechteste Wahlergebnis zu sein scheint,
02:33das in der Geschichte der Sozialdemokratie in Österreich nun passiert ist,
02:37das ist für mich gesetzt.
02:38Andreas Babler hat es nicht geschafft, weite Teile der Partei zu vereinen.
02:42Das, was man eigentlich Pamela Rendi-Wagner vorgeworfen hat, die in einigen Umfragen bei 28 Prozent stand,
02:49das muss man sich heute noch kurz für einen Moment vergegenwärtigen.
02:52Das ist schon ein Thema, an dem die SPÖ in den kommenden Tagen und Wochen sicherlich sehr zu knabbern haben wird.
02:59Mehr erwartet haben sich auch die Neos, sie landen aber trotzdem auf dem vierten Platz, haben die Grünen verdrängt.
03:04Die Grünen wiederum haben herbe Verluste hingenommen. Worauf führst du das zurück?
03:09Naja, wenn wir ganz kurz bei den Neos bleiben, dort ist es ja so, dass Beate Meindl-Reisinger
03:12heute im Lauftress im Wahllokal war, voller Energie, voller positiver Energie,
03:18auch im Wahlkampf sich angeboten hat als Regierungspartei.
03:23Und ich meine, das könnte ja immer noch passieren, wer weiß.
03:26Aber es ist irgendwie auch bezeichnet für die Neos und für diesen liberalen,
03:31für dieses liberale Angebot in Österreich, dass sie seit ihrer Gründung vor elf Jahren
03:34mehr oder weniger auf der Stelle hin und her treten.
03:36Es ist kein Durchbruch erfolgt.
03:38Es sind immer diese zehn, knapp, nicht, plus, minus, jetzt auch wieder in den Hochrechnungen,
03:44ganz wenige Prozentpunkte oder Zehntelprozentpunkte, wenn überhaupt.
03:48Das heißt, dass hier ein klarer Zuwachs gelungen wäre.
03:51Das ist nicht der Fall.
03:53Und die Grünen, für die ist das schon eine schmerzliche Niederlage, oder?
03:56Ja, die Grünen erleben alles, was man erlebt, wenn man aus der Regierung herausgewählt wird.
04:01Da ist einerseits der Malus da, viele Dinge mitbeschlossen zu haben,
04:05die den Menschen nicht in der Art und Weise kommuniziert worden wären,
04:09als dass das für viele Sinn macht.
04:10Und so ist das ein herber Rückschlag.
04:12Man sieht ja auch in Deutschland, wie es den Grünen da momentan geht.
04:15Das ist sicherlich nicht ganz isoliert zu betrachten.
04:17Da ist noch viel, viel Arbeit notwendig.
04:19Sie sind vielleicht auch nicht mehr die, die allein für Klimaschutz stehen.
04:24Aber sicher jene, die das am vehementesten fordern.
04:26Die anderen wollen da nicht mehr antuschieren.
04:29Bei den kleinen Parteien von Bier bis KPÖ scheint keine von Ihnen in den Nationalrat einziehen zu können.
04:35Trotzdem haben sie einige Prozente gewonnen.
04:37Was sagst du zu diesem Abschneiden der kleinen Parteien?
04:40Und wem hat das am meisten geschmerzt?
04:43Als Demokrat freue ich mich jeweils, wenn lange Wahlzettel,
04:46viele Auswahlmöglichkeiten da sind und viele engagierte Gruppen versuchen, etwas zu tun.
04:51Nur hat beispielsweise Dominik Vlasny von der Bierpartei erlebt,
04:54dass jeder Auftritt ihm zusätzlich geschadet hat.
04:57Und jetzt ist es weit davon entfernt, dass dieses Projekt in den Nationalrat einzieht.
05:02Bei den anderen Parteien muss man zurückblicken und vielleicht etwas despektierlich anmerken.
05:08Kleine Parteien, große Sprüche.
05:11Da sind alle Tricks gefahren worden, inklusive solcherer, die ich persönlich als nahezu unlauter finde,
05:15nämlich keine von denen auf den Wahlzettel zu schreiben.
05:18Erfreulicherweise sind ja nicht allzu viele Menschen darauf reingefallen.
05:21Und die, die den Wandel wählen wollen, hatten das offensichtlich auch unter diesem Namen getan.
05:25Sie werden die Zukunft Österreichs nicht verändern,
05:28sondern als nicht in den Nationalrat gekommene kleinen Parteien in die Geschichte eingehen.
05:33Vor der Wahl hat die FPÖ gesagt, wenn sie Erste werden, dann möchten sie in die Regierung.
05:38Und sie möchten mit Herbert Kickl auch den Kanzler stellen.
05:41Wird das jetzt eingefordert werden?
05:43Ja, sicher. Wir werden in den nächsten Wochen das Wort Wählerwille ganz oft hören.
05:47Das haben ja rechte und rechtsextreme Parteien in Europa schon zuvor gemacht.
05:51Wenn eben Regierungen an ihnen vorbei gebildet werden, dann ist das Hauptargument.
05:55Aber der Wählerwille war ein ganz anderer.
05:58Der Wählerwille heißt, dass demokratisch gesehen Mehrheiten Regierungen bilden,
06:03dass stabile Regierungen aus stabilen Mehrheiten geformt werden sollten.
06:07In Österreich gibt es die Tradition, dass der Bundespräsident in der Vergangenheit
06:12oft die stärkste Partei mit der Regierungsbildung geauftragt hat.
06:14Aber Anspruch darauf gibt es keinen,
06:16so wie auch der Auftrag des Bundespräsidentes nichts ist, was niedergeschrieben ist oder notwendig ist.
06:22Das heißt, wenn sich in den kommenden Wochen Mehrheiten finden,
06:25und das nehme ich an, ist auch die Hoffnung einer großen Koalition,
06:30die sich ja gegebenenfalls ausgehen könnte oder einer ganz großen Koalition
06:33unter Zunahme einer dritten Partei.
06:35Das wäre dann das Mittel, das bei der FPÖ sicherlich insofern auf lauten Protest stoßt,
06:41so wie ich übrigens glaube, dass sich Herbert Kickl mit diesem Wahlergebnis
06:43zwar an die Spitze der ewigen besten Liste der FPÖ gesetzt hat,
06:47die Wahlergebnisse von Haider und auch von Strache übertroffen hat,
06:51aber dennoch sehr, sehr isoliert dasteht, weil er einfach zu extreme Positionen vertritt,
06:55als dass sich die ÖVP leisten könnte, ihm als Juniorpartner hinterherzudackeln.
06:59Ein historisches Ergebnis für die FPÖ und Herbert Kickl.
07:03Welche Koalitionsmöglichkeiten und Varianten sich daraus ergeben,
07:06das besprechen wir gleich noch.
07:07Ich sage mal herzlichen Dank, Gerold Riedmann, für diese Analyse.
07:10Sehr gerne.
07:11Ja, und wir halten Sie natürlich weiter auf dem Laufenden.
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