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"Der Freiheitsdrang der Mutter ist größer als ihr Verantwortungsbewußtsein"

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Transkript
00:00Der vielleicht glücklichste Tag der Deutschen. Der 9. November 89. Der Tag, als in Berlin die Mauer fiel.
00:09Doch für manche wurde er zur tragischen Wende im Leben. Für Kinder, deren Eltern lieber in den Westen gehen. Ohne sie.
00:16Das ist Berlin. Und jetzt bin ich nur alleine.
00:21Dass die Eltern im Grunde genommen nur um in den sogenannten Goldenen Westen zu kommen, die Kinder einfach weggegeben haben.
00:27Und so gibt es hunderte von Fällen in der DDR.
00:31Verlassen und belogen.
00:34Meine Mutti, die hier ist in Urlaub.
00:39Es fühlt sich heute noch total emotional an. Gerade wenn man sich da so als kleiner Junge hilflos die Treppen hochlaufen sieht.
00:49Diese Eltern sind ja gegangen, weil sie ein besseres Leben wollten.
00:55Aber ihren Kindern haben sie zugemutet, da zu bleiben, wo sie nicht bleiben wollten. Und die sind hilflos.
01:04Wenn es auf Fragen keine Antwort gibt.
01:07Ich habe darüber nachgedacht, warum meine Mutter mich alleine gelassen hat.
01:12Und einmal, wenn ich dazu gekommen bin, habe ich gedacht, dass ich das wüsste.
01:16Aber ich weiß nicht, ob es das Richtige ist.
01:23Warum setzt man ein Kind in die Welt, wenn man es nicht will?
01:27Wenn das Trauma auch nach 30 Jahren nicht verarbeitet ist.
01:31Das hat ja einfach Folgen fürs ganze Leben, für alle Kinder. Alle.
01:35Wenn die Sehnsucht nicht vergehen will.
01:37Manchmal abends denke ich an Mutti.
01:43Eigentlich vermisse ich Mutti.
01:47Die kommt nie nach Wieler.
01:49Das Kinderheim Makarenko in Berlin-Treptow.
02:16Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer.
02:20Es ist eine Auffangstation für Kinder, deren Eltern ihr Glück allein suchen.
02:25Es ist der 6. Dezember 1989.
02:29Nikolaustag.
02:30Fast alle in der Gruppe feiern den ersten Advent nun im Heim.
02:34Sie sind auf dem Weg von Ost nach West zurückgelassen worden.
02:37Zum Beispiel Mark, zwei Jahre alt.
02:44Die Mutter und seine drei Geschwister sind im Westen.
02:46Für ihn war kein Platz mehr.
02:50Dr. Lisa Hörgner ist Leiterin der Säuglingsstation.
02:54Seit dem Exodus Richtung Bundesrepublik steigt auch die Zahl der verlassenen Kinder.
02:59Allein in Berlin sind es einen Monat nach dem Mauerfall schon mehr als 50.
03:02Auch Steffen, ein einjähriger Säugling, lebt jetzt im Heim.
03:12Zusammen mit seiner zweijährigen Schwester wurde er von der Großmutter hier abgegeben.
03:16Der Freiheitsdrang der Mutter ist größer als ihr Verantwortungsbewusstsein.
03:20Wir sind informiert worden durch die Großmutter des Kindes, dass sie ausgereist ist ohne ihre Kinder.
03:30Es ist noch ein Geschwisterkind bei uns.
03:34Und sie hat sich bisher auch aus der Bundesrepublik noch nicht gemeldet.
03:41Steffens Schwester Katharina.
03:43Das Mädchen leidet besonders unter der Trennung von der Mutter.
03:47Ein traumatisiertes Kind.
03:49Verloren und verlassen.
03:51Das Kind ist sehr verstört.
03:56Es weint sehr viel, ist ausgesprochen ängstlich.
04:00Und verlangt schon immer wieder nach der Mama.
04:05Während ihr Bruder die neue Situation noch gar nicht richtig begreift,
04:10hadert Katharina mit ihrem Leben im Heim.
04:13Erinnerungen an diese Zeit hat sie heute kaum noch.
04:23Katharina Fernau, 31 Jahre später.
04:27Heute sieht sie diese Aufnahmen zum ersten Mal.
04:29Die einzigen Kinderbilder von sich aus dieser Zeit.
04:33Wie kann man das einem Kind einfach antun?
04:35Ich verstehe es nicht.
04:36Also gerade wenn man selber Kinder hat, man versteht es halt einfach nicht.
04:39Ein Rückblick, der so vieles erklärt aus ihrem Leben.
04:45Die Folgen, damals wie heute, ein Problem für die jetzt 33-Jährige.
04:49Ich weiß zwar natürlich gerade nicht in dem Moment, warum ich jetzt weine,
04:56aber es wurde ja auch gesagt, also das habe ich auch früher selber gehört,
04:59dass ich sehr viel geweint habe, total verstört gewesen bin.
05:02Also Sie haben da Folgen gehabt als Kind?
05:12Bis heute, bis heute, ja, definitiv.
05:16Was für welche?
05:16Also alles, was Gefühle anbelangt.
05:21Ich kann also keine Nähe zulassen.
05:22Ich kann sie nicht geben.
05:24Also ich kann auch keinen an mich ranlassen.
05:26Ich vertraue niemandem.
05:28Und ich kann halt, ich merke es halt auch, wie ich sage, in einer Beziehung.
05:32Ich kann halt niemandem irgendwas überlassen.
05:33Also ich brauche die Kontrolle, dass ich die Kontrolle nicht verliere.
05:39Weil halt natürlich immer die Angst für mich da ist, dass, wenn ich mich nicht drum kümmere, dass das keiner macht.
05:43Und das ist halt natürlich, dadurch ist meine erste Ehe kaputt gegangen,
05:46weil mein Ex-Mann natürlich super behütet aufgewachsen ist.
05:49Und damit natürlich gar nicht zurechtkommen, dass ich ihm das nicht geben kann.
05:54Weil es geht einfach nicht.
05:56Katharina und ihr Bruder kommen in einer Adoptivfamilie.
05:59Die leibliche Mutter werden sie nie wieder treffen.
06:03Die soll nach ihrer Flucht vor den eigenen Kindern in einem Krankenhaus in Bayern gearbeitet haben.
06:08Ausgerechnet auf einer Kinderstation.
06:11Als dort die Chefs von der Tragödie erfahren, sei sie entlassen worden.
06:16Katharina selbst hat heute fünf Kinder.
06:19Auch deswegen hat sie kein Verständnis für das Verhalten ihrer eigenen Mutter.
06:25Man fragt sich einfach, warum setzt man ein Kind in die Welt, wenn man es nicht will.
06:30Wenn man nicht mit allen Konsequenzen sich um dieses Kind kümmern möchte.
06:34Mit allem, was es mit sich bringt.
06:36Das kann ich mir doch vorher überlegen, ob ich das möchte.
06:39Und vor allem muss ich ja dann nicht noch ein Kind bekommen und noch ein Kind.
06:43Um es dann am Ende zurückzulassen.
06:45Und im Prinzip die Kindheit zu zerstören.
06:47Und es hat ja einfach Folgen fürs ganze Leben.
06:51Für alle die Kinder.
06:52Alle.
06:53Egal, welches Alter die haben.
06:56Überall in der DDR gibt es zu dieser Zeit Kinder, die von ihren Eltern verlassen werden,
07:00als diese sich in die damalige Bundesrepublik absetzen.
07:03Eine Statistik über Fallzahlen gibt es nicht.
07:06Doch schon damals richtet sich die Leiterin eines Säuglingsheims in einem dringenden Appell an Politik und Medien.
07:13Ich bitte deswegen dringend, einmal unsere beiden Staaten gegenseitig aufeinander zuzugehen, um mit den örtlichen Organen der Jugendhilfe ein Rechtshilfeabkommen abzuschließen, um für diese Kinder eine Lösung zu finden.
07:31Christina Brandt, die Heimleiterin von damals, erinnert sich.
07:36Den Umständen geschuldet, füllte sich auch ihre Erfurter Einrichtung innerhalb weniger Wochen.
07:44Allein bei ihr waren es zwölf Kinder, die abgegeben wurden.
07:47Ich war fassungslos und meine ganzen Kollegen auch.
07:52Man hat sowas nicht für möglich gehalten.
07:54Es müssen Hunderte gewesen sein, die in dem ganzen DDR-Gebiet, auch größere.
08:01Es sind ja auch in Erfurt andere Heime gewesen, mit denen wir kooperiert haben.
08:06Und da waren ja schon Schulkinder dabei, die dort abgegeben wurden.
08:11Und wo versprochen wurde, nächste Woche hole ich dich, Jugendliche, nichts ist passiert.
08:16Also in Erfurt waren das schon bestimmt 50.
08:22Auch Enrico und Sven, beide 16 Jahre alt.
08:26Sie wurden morgens von ihrer Mutter mit den Worten geweckt.
08:28Die Grenzen sind offen, schlaft noch weiter, ich gehe mal drüben gucken.
08:32Die Mutter, sie kam nie wieder.
08:35Seit einem halben Jahr sind sie nun in diesem Erfurter Heim.
08:38Sehnsucht zu meiner Mutter.
08:41Und da gibt es keine Aussicht mehr.
08:44Die hat uns ja verlassen und so.
08:46Die hat jetzt sowas Schlimmes angetan.
08:50Das würde ich ja kaum verstehen.
08:53Wenn sie mich jetzt selber rüberhundert, würde ich sagen, nein, ich bleibe hier.
08:58Du hast uns nicht Bescheid gesagt, dass du rüber willst, deine eigene Freiheit haben willst.
09:04Dann würde ich jetzt hier bleiben.
09:05Auch Sebastians Mutter hat ohne ihn rübergemacht.
09:11Das Sprechen darüber fällt dem Jugendlichen sichtlich schwer.
09:15Meine Mutter kann es nicht mehr gut machen.
09:17Und warum nicht?
09:36Willst du ihr nicht nochmal eine Chance geben?
09:40Nein.
09:40Liebst du sie nicht mehr?
09:59Hast du sie?
09:59Diese Eltern sind ja gegangen, weil sie ein besseres Leben wollten.
10:10Aber ihren Kindern haben sie zugemutet, da zu bleiben, wo sie nicht bleiben wollten.
10:17Und die sind hilflos, fassungslos.
10:20Für die ist ja eine Welt zusammengebrochen.
10:21In dieser Zeit muss auch Manuela ins Heim in Erfurt.
10:40Gemeinsam mit 160 anderen weißen Kindern lebt sie nun hier.
10:45Die Sehnsucht nach dem Vater ist groß.
10:46Ein halbes Jahr zuvor machte der sich mit einer Freundin quasi über Nacht auf und davon.
10:53Auch er ging in den Westen.
10:56Und auch er plante seine Zukunft ohne seine Tochter.
11:00Für die 14-Jährige ein Schock.
11:03Er war das rüber in den Westen.
11:06Abgehauen.
11:16Ja, ich habe meinen Vater sehr lieb.
11:24Und ich kann es mir aber nicht verzeihen, dass er rübergegangen ist.
11:37Immerhin.
11:38Einmal hat ihr der Vater einen Brief geschrieben.
11:41Ein A4-Blatt.
11:43Ohne Erklärung.
11:45Ohne Entschuldigung.
11:46Liebe Manuela, obwohl wir dich sehr vermissen, ist es vielleicht besser so für dich.
11:52Mach erstmal deine Lehre und dann werden wir weitersehen.
11:55Wir haben jetzt eine Wohnung.
11:57Seit dem 1.12.1989.
11:59Ist nicht schlecht mit Bad und warmem Wasser.
12:02Aber 555 Mark Miete.
12:05Im Januar kommen wir hundertprozentig rüber.
12:07Sobald wir alle Papiere haben.
12:10Bitte sei nicht böse und traurig darüber.
12:12Es geht wirklich nicht.
12:13In den Winterferien kannst du ja auch zu uns hierher kommen.
12:17Irgendwie wird das schon klappen.
12:18Die letzten Zeilen sind eine Lüge.
12:23Manuelas Vater hatte sich bis dahin nicht wieder gemeldet.
12:27Auch Thomas landet in einem Erfurter Kinderheim.
12:36Seine Mutter hat ihn abgegeben, weil er sich zu einem spastisch gehbehinderten Kind entwickelt.
12:42Sie beauftragt ihren Freund, den Jungen ins Heim zu bringen.
12:46Der setzt ihn der Heimleitung einfach auf den Schreibtisch.
12:49Dann ziehen beide in den Westen.
12:57Seit Wochen wartet der 5-Jährige nun auf seine Mutter.
13:02Die Erzieher behelfen sich mit einer Notlüge.
13:06Meine Mutter, die ist in Urlaub.
13:09Es ist die Mutter, die ihm das Wichtigste genommen hat.
13:19Das Urvertrauen, dass Mütter nur das Beste für ihr Kind wollen.
13:2631 Jahre später.
13:28Thomas Metz sieht sich die Aufnahmen von einst mit seiner heutigen Familie an.
13:33Das fühlt sich heute noch total emotional an.
13:39Gerade wenn man sich da so als kleiner Junge hilflos die Treppen hochlaufen sieht
13:43und dann eben so eine Aussage trifft, meine Mama ist im Urlaub.
13:49Und man weiß aus jetziger Sicht, so war es eben gar nicht.
13:54Man wurde ja quasi abgeschoben.
13:56Und es ist verblüffend zu sehen, wie schnell man das als Kind in so einer Notsituation auch glauben kann.
14:05Und auch heute noch, wenn ich mir das angucke, auch eben gerade, muss ich sagen, absolut berührend.
14:11Heute ist er verheiratet, selbst Vater von zwei Töchtern.
14:15Sein Glück, Monate nachdem er abgegeben wurde, nimmt ihn eine Pflegermutter auf.
14:20Silvia Werner ist zu dem Zeitpunkt Lehrerin in einer körperbehinderten Schule.
14:24Eine Bekannte hat sie auf den Jungen aufmerksam gemacht.
14:30Thomas musste dann später von unserer Schule, weil wir keine Wochenendunterbringung hatten, zurück ins Kinderheim.
14:38Und ich bin dann, wie so ein Erwachsener halt denkt, damals gehst du halt mal hin und guckst, ob sich Kontakt entwickelt.
14:46Und als ich das zweite Mal wieder da war, rief Thomas schon von weit, meine Mama kommt.
14:51Und dann war es entschieden und klar.
14:52Ja, da muss man sich ja auch mal vorstellen.
14:58Kommst du zum zweiten Mal und sagst dann sofort Worte wie, meine Mama kommt.
15:06Was eigentlich rückblickend da für eine Not da war.
15:12Ein Ortstermin in die Vergangenheit.
15:15Von dem einstigen Heim ist nicht mehr viel übrig.
15:17Hier stand das.
15:21Hier stand das.
15:24Gab es so einen Moment, wo sie realisiert haben, dass die Mutti sie nicht mehr abholt?
15:29Nee, das ist gar nicht mehr drinne.
15:33Das ist gar nicht mehr drinne.
15:35Ich habe die Dramatik auch erst das erste Mal wirklich realisiert, als ich im Film mich selber dort gesehen habe und diese Worte gehört habe.
15:45Meine Mama, ja, die ist im Urlaub.
15:46Erst da habe ich noch mal so realisiert, um Gottes Willen, was war hier, was hat er gesagt, eigentlich los?
15:53Es ist das Jahr 1999.
16:01Zehn Jahre sind vergangen, seit Thomas von seiner Mutter ausgesetzt wurde.
16:06Inzwischen ist aus dem schüchternen Kind von einst ein selbstbewusster Teenager geworden.
16:14Dass seine Pflegermutter ihn aus dem Heim geholt hat, war die positive Wendung in seinem Leben.
16:19Vielleicht war es sogar das Beste, was ihm passieren konnte.
16:23Denn jetzt konnte er in geordneten Verhältnissen aufwachsen und hatte Möglichkeiten, die er in seiner alten Familie so vermutlich nie gehabt hätte.
16:32Ein gutes Zuhause, Fürsorge und Liebe.
16:35Ich finde meine Mutti klasse, weil ich hatte ja ein sehr großes Glück, dass sie mich aus dem Kinderheim geholt hat, weil das passiert ja nicht vielen Kindern.
16:49Und sie ist auch sehr liebevoll zu mir und respektiert mich und ich habe auch meine Freiheiten, das finde ich toll.
16:57Und es ist so, einen Vater vermisse ich eigentlich irgendwo nicht, weil meine Mutti ist für mich beides, mit der kann ich über alles reden und das ist gut so.
17:05Auch wenn es anfangs vielleicht Zufall war, dass gerade der Thomas und ich zusammengekommen sind, so ist es jetzt also ganz selbstverständlich, mein Sohn.
17:15Und ich denke, dass ich da genauso tief für ihn empfinde, wie jede Mutter eben auch für ein leibliches Kind empfindet.
17:22Eberhard Weisbart ist damals der Filmemacher, der Thomas und einige andere der verlassenen Kinder porträtiert.
17:31Er war selbst in einem Kinderheim, weiß aus eigenem Erleben um die kindliche Verzweiflung.
17:38So war er nicht nur Reporter, sondern auch Aktivist.
17:41Ich habe dann eben nach dem Mauerfall Zeitungsartikel gelesen in verschiedenen Zeitschriften über Heimkinder in der DDR und wie jetzt kam mir das alles hoch.
18:04Und da habe ich mir gesagt, darüber muss ich einen Film machen, weil ich ja selber davon betroffen bin.
18:10Und da ich seit Jahren ja Regisseur und Filmemacher bin und Dokumentarfilme gedreht habe, habe ich mir gesagt, okay, das mache ich jetzt.
18:16Und habe dann Kontakt aufgenommen mit dem Jugendamt und der DDR.
18:20Und die haben mir dann geholfen dabei und habe dann für eine Fernsehproduktion das nachher gemacht.
18:26Und dadurch ist dann dieser Film entstanden.
18:29Die verlassenen Kinder der DDR. Unrecht, das auch in mehr als 30 gesamtdeutschen Jahren kaum Beachtung gefunden hat.
18:37Ich muss sagen, ich finde das unmöglich, was damals passiert ist. Man darf auch nicht verallgemeinern.
18:43Vielen Kindern ist es auch in den Heimen gut gegangen, wie ich erfahren habe, von den Erziehern und aus den Akten heraus.
18:48Aber dass die Eltern im Grunde genommen nur um in den sogenannten Goldenen Westen zu kommen, die Kinder einfach weggegeben haben.
18:55Bei dem Thomas hier war das ja so, die Mutter war Säuferin, hoch drei, und durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt ist der Jungen gehbehindert gewesen.
19:05Und sie hat noch nicht mal den Mut besessen, den Jungen selber abzugeben, sondern hat einen Freund gehabt und hat den Freund gebeten,
19:12die sollen den Jungen da abgeben und der hat ihn auf den Schreibtisch da gesetzt und dann haben wir den Jungen alleine gelassen und man hat ihn da belogen.
19:19Also das ist, und so gibt es hunderte von Fällen in der DDR.
19:22Was muss im Leben schiefgelaufen sein, um sein fünfjähriges Kind einfach abzugeben, weil man es nicht mehr braucht?
19:32Es allein zu lassen und jede emotionale Bindung zu kappen?
19:39Von seiner leiblichen Mutter jedenfalls will Thomas nichts mehr wissen.
19:42Für das, was sie ihm angetan hat, empfindet er nur Abscheu.
19:45Wenn ich meine alte Mutti wiedersehen würde, ich würde ihr die Meinung sagen, würde ihr vielleicht sogar eine auf die Fresse schlagen, wenn ich ehrlich bin.
19:56Dazu ist es nie gekommen, denn noch weitere 20 Jahre später hat sich die Mutter nie gemeldet.
20:02Thomas ist im Leben angekommen. Er studiert, wird Suchttherapeut.
20:05Ich muss nicht für den Rest meines Lebens Eltern, die mich verstoßen haben, in irgendeiner Form lieben, sondern es besteht auch die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, die dann eben auch wie Familie sind, aber eben nicht quasi die leiblichen Eltern.
20:23Und das ist schon ein Ansatz, den ich da ein Stück weit durch meine eigene Geschichte verfolge, dass die gerade jungen Menschen eben lernen zu verstehen, dass Familie viel ist, aber nicht alles.
20:40Und so profitieren manchmal auch seine Patienten von den persönlichen Erfahrungen ihres Therapeuten.
20:45Thomas hat eigentlich einen vernünftigen Weg gemacht. Und jetzt muss ich doch mal betzen, als pubertierender Jugendlicher war es auch manchmal ein bisschen schwierig.
21:00Die Gefährdungen, die es heute gibt, waren auch vorhanden, aber er hat ja einen richtigen Weg gefunden, in dem er Suchttherapeut geworden ist.
21:07Er hat ganz großes Glück gehabt, in dem er so eine tolle Frau gefunden hat.
21:10Einmal, da musste er Kontakt zur leiblichen Mutter aufnehmen. Da er nicht adoptiert ist, benötigte er für den BAföG-Antrag ihre Steuerbescheinigung.
21:19Das war dann so, dass ich meine Mutter angerufen habe, oder ich musste sie anrufen.
21:23Und, ja, das heißt, meine Mutter ist eigentlich der falsche Begriff.
21:28Und da ertönte eine Stimme am anderen Ende der Leitung, wo bei mir nur noch das Gefühl war von, oh mein Gott, erschrocken sein.
21:37Also es hatte einen Ausdruck von Asozialität, wo ich mir gedacht habe, um Gottes Willen bin ich froh, nicht bei dieser Frau groß geworden zu sein.
21:50Nun will er sich von seiner Pflegemutti adoptieren lassen.
21:53Denn sonst könnte es theoretisch sein, dass er an möglichen Pflegekosten seiner leiblichen Mutter beteiligt wird.
21:58Das ehemalige Kinderheim Fritz-Weineck in Berlin-Friedrichsfelde.
22:06Im November 89 spielt sich auch hier eine Tragödie ab.
22:11Es wird zur Auffangstation für drei weitere Geschwister.
22:15Zurückgelassen von einer Mutter, die den Westen wohl verheißungsvoller fand als ihren Nachwuchs.
22:19Wie heißt du denn?
22:21Steve.
22:22Ja, was?
22:23Steve ist fünf.
22:28Sein Bruder Mark, er fühlt sich jetzt verantwortlich für seine Geschwister.
22:38Der Jüngste, Martin, drei Jahre alt.
22:43Seit er im Heim ist, ist er still geworden.
22:45Erst langsam gelingt es den Erzieherinnen, wieder Vertrauen bei ihm zu wecken.
22:50Er leidet am meisten unter der Trennung von seiner Mutter.
22:57Wenige Tage nach der Maueröffnung hatte die Volkspolizei die Geschwister in einer verlassenen Wohnung im Prenzlauer Berg entdeckt.
23:05Wie lange sie dort allein waren, konnte nicht festgestellt werden.
23:09Irgendwann machten sie sich bemerkbar, weil sie Hunger hatten.
23:15Das Klinikum Buch, am Rande Berlins.
23:20Die verwahrlosten Kinder benötigten zunächst einmal medizinische Versorgung.
23:24Wir haben Anfang November am 12.11. ein fast fünfjähriges Kind eingewiesen bekommen über das Referat Jugendhilfe mit einer infektiösen Hauterkrankung und Durchfall.
23:43Wo bei uns mitgeteilt wurde, dass dieses Kind von der alleinstehenden Mutter zu Hause allein gelassen wurde und die Mutter die Republik verlassen haben soll und nicht mehr auffindbar wäre.
23:56Normalerweise gehen dann solche Kinder in ein Dauerheim, in ein Pflegeheim.
24:04Und da dieses Kind aber infektiös war, also eine bakterielle Hauterkrankung hatte, wurde es zu uns zur Sanierung eingewiesen.
24:12Und kurze Zeit später, am 29. kam dann das zweite Geschwister aus dieser Familie mit einer Durchfallerkrankung noch zu uns.
24:19Wahrscheinlich hat sich die Mutter bereits am dritten Tag nach dem Mauerfall nach West-Berlin abgesetzt.
24:28Ihren Kindern hat sie zum Abschied noch falsche Versprechungen gemacht.
24:31Heute ist Sonnabend abends halb zwölf losgegangen und kam und hat uns dann auch noch einen Zettel geschrieben und da stand drauf, wo die Sachen liegen und stand auch noch drauf, dass er uns was mitbringt.
25:01Er hat sonst noch ein bisschen Frühstück auf den Tisch, auf den Schrank gelegt, war aber nur acht Stuhl, haben wir alle gegessen und mein Bruder hat drei Eier allein aufgegessen.
25:20Steve weiß, wo seine Mutter ist.
25:22Er ist Berlin. Und jetzt bin ich nur alleine.
25:26Ich bin da geblieben und zuerst kam bei mir die Polizei, hat mich abgeholt und dann nach der Weile haben sie meine beiden Brüder abgeholt.
25:54Wusstet ihr denn, wo eure Mutter war?
25:59Ja, drüben.
26:01In West-Berlin?
26:03Mhm.
26:04Und hat sie euch gesagt, dass sie wiederkommen will oder dass sie drüben bleiben will?
26:08Na ja, hat er auch noch auf den Zettel geschrieben, sie kommt also heute wieder.
26:15Also nicht heute, sondern am Sonnabend.
26:18Und dann hat sie noch darunter geschrieben, dass sie uns was mitbringt.
26:22Man kann davon ausgehen, dass sich die Mütter einer Strafverfolgung entziehen wollten.
26:30Immerhin waren es zu diesem Zeitpunkt noch zwei deutsche Staaten.
26:33Eine Wiedervereinigung längst nicht in Sicht.
26:36Wir sind auch unheimlich daran interessiert, dass man die Eltern auffindet, dass man den Aufenthaltsort der Eltern herausbekommt.
26:44Und auch die Eltern zur Verantwortung zieht. Und auch, wenn es sein muss, strafrechtlich begeht.
26:54So etwas kann man eigentlich, wenn man ein Gewissen hat, als Mensch nicht vereinbaren.
27:00Es sind fast immer alleinstehende Frauen, die sich zu solch einem Schritt entschließen.
27:09Auch vor dem Fall der Mauer haben sich schon Mütter abgesetzt.
27:13Manche Kinder werden in der Wohnung einfach zurückgelassen.
27:16Wieder andere Mütter töten ihre Kinder direkt.
27:19Häufig ist Hilflosigkeit der Auslöser.
27:21Nicht selten folgt ein gescheiterter Suizid.
27:26In der DDR ein Tabuthema.
27:29Das Frauengefängnis Hoheneck im sächsischen Stolberg.
27:33Im Januar 1990 sitzen hier 100 Mörderinnen ein.
27:37Allein 80 von ihnen, die ihre Kinder umgebracht haben.
27:42Seit der Wende dürfen die Gefangenen in der Anstalt Musik hören.
27:49One-Way-Ticket. Es gibt kein Weg zurück.
27:51Für Kindstötung gibt es meist lebenslänglich.
27:55Im Rechtssystem der DDR wird entgegen der politischen Theorie
27:58dem Umfeld und der Gesellschaft niemals eine Mitschuld gegeben.
28:04Tödliches Ende einer Familientragödie auch in diesem Fall.
28:07Die Mutter hat ihre Tochter allein in der Wohnung zurückgelassen.
28:10Das Kind ist verhungert.
28:12Wie kommen Sie denn heute damit klar?
28:14Gar nicht, wenn ich ehrlich bin.
28:16Ich habe sehr doll an meine Tochter gehangen
28:18und war ja eigentlich auch im Prinzip immer mit ihr alleine.
28:21Mein Verlobter hat damals in der SU gearbeitet.
28:24Er war durchaus in der Lage gewesen, mir zum damaligen Zeitpunkt zu helfen.
28:28Jetzt, was Geldmäßig alles anbelangte.
28:32Meine Arbeit musste ich aufgeben,
28:33weil ich wohnte die erste Zeit noch mit meinem geschehenen Mann zusammen.
28:37Der hat mich geschlagen.
28:38Auch während der Ehe, deswegen war ja die Scheidung, hat viel getrunken.
28:43Und ich habe es abends absolut nicht geschafft, meine Tochter ins Bett zu bringen.
28:46Und da hatte ich ihm die Arbeit aufgegeben.
28:49Und als ich dann nach circa drei Monaten endlich eine neue Wohnung hatte,
28:53da wollte ich neue Arbeit haben,
28:55stellte aber eine neue Schwangerschaft fest und hat mich keinen Betrieb genommen.
28:58In ihrer Verzweiflung verließ sie ihre Tochter.
29:03Also ich bin nicht mit dem Gedanken jetzt weggegangen von zu Hause.
29:07Jetzt lässt du es da und du gehst nie wieder zurück.
29:10Also das war nicht meine Absicht.
29:11Ihre Tochter ist verhungert.
29:12Verhungert und, naja, es war zu kalt in der Wohnung, naja auch.
29:17Ich hatte an dem Tag noch, mir hatte ich ja nicht zur Verfügung,
29:20ein paar Brötchen und Wasser stehen lassen.
29:24Und am 30. November, also nicht ganz einen Monat später,
29:33fuhr ich dann durch Zufall zu meinem Verlobten.
29:35Und dort stellte ich fest, dass meine Tochter nicht dort anwesend ist.
29:39Und daraufhin bin ich an dem Tag in die Wohnung gefahren.
29:42Und für mich war jetzt klar, vom 8. November bis zum 30. November,
29:46dass meine Tochter verhungert sein muss.
29:51Ich habe dieses Zimmer nicht betreten.
29:53Ich bin nur kurz in die Wohnung, habe mir ein paar andere Schuhe geholt
29:55und hatte jetzt nur noch eins und sie mich selbst auch umbringt.
30:00Bestraft werden wir solche Taten immer nur die Frauen.
30:03Auch wenn sie nicht allein schuld sind.
30:05Die Umstände werden kaum berücksichtigt.
30:07Zumindest in der DDR hat man es sich da recht einfach gemacht.
30:13Gedanken einer Anstreitsleiterin.
30:16Es gibt da Frauen, die aufgrund ihrer Familienverhältnisse
30:18Bedingungen vorgefunden haben,
30:21diese Saison der Tat,
30:23die einem wirklich die Tat hier mit beeinflusst haben.
30:27Das sollte man auch nicht außer Acht lassen.
30:29Dann sollte man doch dort auch die moralische Schuld beim Ehemann mitsuchen.
30:36Aber sie sitzt im Strafvollzug und nicht der Ehemann.
30:39Herbst 1990.
30:47Ein knappes Jahr ist es nun her, dass Martin, Steve und Mark von ihrer Mutter verlassen wurden.
31:06Sie hat sich bis jetzt noch immer nicht gemeldet.
31:09Seit dem Mauerfall im November ist sie verschwunden.
31:12Die Brüder sind weiterhin in einem Kinderheim.
31:15Martin, der Jüngste, muss sich nun allein anziehen.
31:22Einmal am Tag ist Martin glücklich.
31:24Da trifft er seinen Bruder im Waschraum wieder.
31:36Der ist zwei Jahre älter und wohnt deshalb auf einer anderen Etage.
31:40Mark ist der Älteste der drei Brüder.
31:55Ich will meine Mutti auch mal anrufen, aber ich weiß die Nummer nicht.
32:00Und auch mal schreiben.
32:03Und da weiß ich aber nicht die Adresse und ich weiß nicht, wo sie ist.
32:06Und manchmal abends denke ich an Mutti.
32:17Eigentlich vermisse ich Mutti.
32:19Nachts, wenn alles schläft im Heim, liegt Mark noch lange wach.
32:38Dann sucht er nach einer Erklärung für das Unerklärliche.
32:42Eine Antwort hat er bisher nicht gefunden.
32:44Nicht wenige dieser Eltern haben sich ein süßes Leben im Westen gemacht.
32:51Fernab einer Strafverfolgung im Nachbarland DDR.
32:54Und einige sollen aus dieser Tat auch noch Kapital geschlagen haben.
32:58Diese Eltern, die haben sich überhaupt nicht gekümmert.
33:02Die haben ja sogar noch Kindergeld zum Teil bezogen,
33:06weil ja ihre Kinder im Ausweis standen.
33:09Dann haben die einfach vorgelogen, sind bei meiner Mutter,
33:11also bei der Oma oder bei der Tante.
33:14Und dann haben die Jugend, dann haben die Sozialämter,
33:17die haben einfach Kredite ausgezahlt, Sozialhilfe gegeben.
33:20Und die Banken haben noch Eingliederungshilfe von 6.000 Mark gegeben.
33:23Und dann haben die sich ein schönes Leben gemacht.
33:25Und die Kinder sind nicht rausgenommen worden aus dem Heim.
33:28Die haben die einfach brutal da drin gelassen.
33:30Unmöglich sowas.
33:32Ich finde, das sind Verbrechen und die Eltern müssten heute noch dafür bestraft werden.
33:35Auch Andreas wird in einem Erfurter Heim abgegeben.
33:41Seine Mutter, die ihn bereits als Baby adoptierte, ging nach Niedersachsen.
33:45Seinen Bruder nahm sie mit.
33:47Für den Zwölfjährigen aber war in ihrem Leben offenbar kein Platz mehr.
33:50Ich bin ein halbes Jahr hier und wo ich bei meinem Vater war,
33:56habe ich erfahren, dass meine Mutter im Westen gefahren ist mit meinem Bruder.
34:00Erst habe ich das nicht gedacht.
34:02Und dann habe ich gesehen, dass meine Mutter mir ein Paket geschickt hat.
34:07Und da sah ich die Adresse.
34:08Wie fühlst du dich denn so jetzt hier im Heim?
34:19Ach gut, ich fühle mich gut.
34:21Ich habe viele Freunde gefunden.
34:24In der Schule klappt es nicht so gut.
34:29Und einiges im Heim finde ich nicht gut.
34:33Dass viel gestohlen wird.
34:36Dass vieles kaputt gemacht wird.
34:37Und die meisten Erzieher, die handeln ja nicht so.
34:42Und wenn man dem Erzieher mal was sagt,
34:46die handeln die gar nicht da drauf.
34:49Erklärungsversuche eines ratlosen Kindes.
34:52Ich habe darüber nachgedacht,
34:54warum meine Mutter mich allein gelassen hat.
34:58Und einmal, wenn ich dazu kam,
35:00habe ich gedacht, dass ich das wüsste.
35:03Aber ich weiß nicht, ob es das Richtige ist.
35:07Da überlege ich jeden Tag immer noch.
35:13Und ich weiß ja immer nicht, ob es das Richtige ist.
35:16Soll der Nummer wirklich abholen?
35:25Soll der Nummer wirklich abholen?
35:25Ich weiß nicht.
35:27Ich weiß nicht, ob es das ist.
35:28Aber ich weiß nicht.
35:41Ich weiß nicht, ob es das ist.
35:45Ich weiß nicht.
35:45Mit Hilfe der Behörden in Ost- und Westdeutschland kann Andreas Mutter gefunden werden, in einem Dorf in der Nähe von Zelle in Niedersachsen.
36:00Die Frau wohnt zur Untermiete, ist arbeitslos, auch sie bezieht Sozialhilfe.
36:07Reporter Eberhard Weisbart, der als Kind selbst in einem Heim war, will erreichen, dass die Mutter Andreas wieder zu sich nimmt.
36:15Was hat diese Frau bewogen, einen solchen Schritt zu gehen? Eines ihrer Kinder allein in der DDR zurückzulassen?
36:37Als sie den Hilferuf ihres Jungen auf Video sieht, ist ihr Verhalten verblüffend.
36:45Der kleine Bruder jedoch kann seine Tränen nicht zurückhalten. Ihm fehlt Andreas.
36:56Ja, Andreas, das mache ich auch nicht und hole dich ab. Du weißt auch ganz bestimmt, warum.
37:17Du wolltest mich ja nicht mehr sehen. Du hast ja gesagt zu mir, dich will ich nicht sehen in Erfurt, du brauchst mich überhaupt nicht zu besuchen.
37:31Das war ein ganz großes Problem mit Andreas. Das fängt ja schon an, als er im Kindergarten war. Da wurde mir schon gesagt, dass er bockig ist.
37:46In der Schule wurde es nachher viel schlimmer. Hat er seine Hassaufgaben nicht gemacht.
37:52Eine Begründung, die sprachlos macht. Abschiebung ins Heim als Bestrafung für nicht erledigte Hausaufgaben.
38:06Plötzlich Tränen bei der Mutter. Reue oder Selbstmitleid?
38:13Die Flucht in den Westen. Ganz offenbar die passende Gelegenheit, sich der Verantwortung als Erziehungsberechtigte zu entziehen.
38:28Andreas jedenfalls wird nie wieder bei der Mutter und dem kleinen Bruder leben.
38:33Dieses Erlebnis steckt Filmemacher Eberhard Weisbart auch 30 Jahre später noch immer in den Knochen.
38:51Es fällt schwer, das Schicksal von Andreas und der Mutter, die ihn abgeschoben hat, zu vergessen.
38:58Also ich hätte dir im Grunde genommen eine reingehauen beinahe. Konnte man natürlich nicht machen.
39:03Aber ich hätte sie angeschrien, aber das steht mir nicht zu.
39:06Aber das war für mich dieser eiskalte Brocken von dieser Mutter. Wir waren sprachlos.
39:11Ich weiß noch, mein Kameramann und mein Tonmann, der hatte einfach gesagt, um Gottes Willen, wie ist diese Frau drauf?
39:19Und dann nachher kamen mir mit einmal die Tränen, ja. Aber sie war im Grunde genommen, hat er seine Hausaufgaben nicht gemacht.
39:25Zehn Jahre später. Andreas ist inzwischen 22. Er lebt jetzt in Zelle, ist der Frau, die ihn verstoßen hat, hinterhergezogen.
39:35Doch Kontakt zur Mutter hat er nicht mehr.
39:37Immer wieder versucht er eine Antwort zu bekommen. Doch die bleibt die Mutter ihm über die Jahre schuldig.
39:46Damals im Heim. Es war eine ganz beschissene Zeit. Ich wurde nur gehänselt. Ich habe auch versucht, mit meiner Mutter den Kontakt wieder aufzunehmen.
40:00Ich habe ihr Briefe geschrieben, Karten. Aber es kam nie eine Antwort zurück.
40:07Nachdem sie sich nicht gemeldet hat, habe ich gedacht, dass sie mich nicht mehr will.
40:14Im Heim habe ich oft geweint, weil ich hatte die erste Zeit keine Freunde.
40:20Und musste mich erst mal mit allem konfrontieren, damit ich da überhaupt erst mal in das Heimleben einsteigen konnte.
40:29Mein Bruder vermisse ich sehr. Und ich verstehe das nicht, dass meine Mutter nicht die Möglichkeit zulässt, dass ich meinen Bruder sehen kann oder besuchen kann,
40:40dass er mir, dass ich auf Karten irgendwie eine Antwort kriege.
40:48Ein Jugendheim in Hermannsburg, in der Nähe von Zelle. Mit 16 kommt Andreas hierher. Er beginnt eine Lehre und will Tischler werden.
40:59Auch für seinen damaligen Erzieher sind die Folgeschäden dessen, was Andreas in der Kindheit angetan wurde, offensichtlich.
41:07Als Andreas zu uns kam, hatten wir einen recht verstockten, verschlossenen jungen Mann bei uns.
41:13Es war ein hartes Stück Arbeit, eine Beziehung zu ihm aufbauen zu können.
41:17Aber wir haben ihn so weit gekriegt, mit ihm gemeinsam, dass er in der Lage ist, tragfähige Beziehungen aufzubauen und zu halten.
41:25Und ich denke, da haben wir zusammen ein gutes Stück Arbeit geleistet.
41:30Auch drei Jahre, nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen hat, findet Andreas keine Arbeit.
41:35Sein Leben kommt in keine geregelte Bahn.
41:37Seelisch fühle ich mich heute nicht gut, weil ich keine Arbeit habe.
41:52Beim Arbeitsamt kriege ich immer nur eine und dieselbe Antwort.
41:56Wir haben nichts, wir schicken ihm was zu, wenn wir was haben, aber das reicht mir nicht.
42:02Die Spur zu Andreas verliert sich in jener Zeit.
42:08Ob es eine Wende in seinem Leben zum Besseren gab, ist ungewiss.
42:11Auch Katharina, die als Zweijährige zusammen mit ihrem Bruder von der Mutter verlassen wurde, leidet unter den Spätfolgen.
42:24Die Beweggründe, die Kinder einfach auszusetzen, kann sie sich bis heute nicht erklären.
42:29Man kann es gar nicht wirklich sagen, wie man sein muss, um so zu sein.
42:34Einfach nur kalt, abgeklärt und egoistisch.
42:39Also was anderes könnte ich mir jetzt nicht vorstellen, wie man sonst sein kann, um sowas zu tun.
42:44Kinder einfach zurückzulassen und dann halt auch wirklich damit abzuschließen komplett und zu sagen, das interessiert mich nicht mehr, das gehört mir nicht mehr.
42:56Anders kann man es glaube ich nicht sagen.
42:57Zumindest Thomas Metz erlebt ein Happy End.
43:13Er hat mit der schrecklichen Vergangenheit abschließen können.
43:17Das Fotoalbum seiner Kindheit beginnt, als er fünf Jahre alt ist.
43:21Es zeigt eine glückliche Kindheit, voller Liebe und Geborgenheit.
43:25Seine Pflegermutter hat alles dafür getan.
43:29Und Thomas hat diese Chance genutzt.
43:37Letztendlich ist meine Mutter die goldene Karte in meinem Leben gewesen.
43:42Wäre meine Mutter nicht da gewesen und hätte mir Gott diese Karte nicht geschenkt,
43:48dann wäre ich heute nicht so, wie ich bin.
43:53Geh du?
43:55Geh du?
43:56Amen.
44:26Amen.

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