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Nicht-Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2010 in Berlin an Mordechai Vanunu von der Internationalen LIGA für Menschenrechte

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Transkript
00:00Der letzte Sprecher heute ist Gadi Al-Ghazi. Wir freuen uns sehr, dass er zu uns gekommen ist.
00:23Gadi Al-Ghazi ist Gründer der israelisch-palästinensischen Organisation Ta'ayyush, Mitbegründer dieser Organisation Ta'ayyush.
00:36Er ist bekannt in Deutschland für seine Analysen zur Besatzung, aber auch zur sozialen und ökonomischen Situation der israelischen Gesellschaft.
00:55Er ist Mitbegründer einer vergleichsweise neuen Organisation, die Tarabut Hithabut heißt und zu Deutsch so viel heißt, das sind zwei Wörter, eins in Arabisch und eins in Hebräisch, wie Zusammenschluss, Verbindung.
01:20Gemeint ist wohl eher Zusammenwachsen. Das ist eine Organisation, die eine alternative Vision zu den Israelvorherrschenden stark machen will, aber nicht nur Vision, sie will für die Vision auch praktisch politisch tätig sein.
01:39Gadi Al-Ghazi, wir freuen uns sehr, dass Sie heute zu uns gekommen sind. Sie haben das Wort.
01:59Guten Morgen und vielen Dank, dass ich hier sprechen darf. Gesichter kann ich von hier aus nicht sehen. Ich werde versuchen trotzdem, mich kurz zu fassen und einige Worte zum Mordechai und vor allem zum Kontext seiner Tätigkeit in Israel sagen.
02:17Ich bin zwar Historiker, Vergangenheitsspezialist, rede aber hier nicht als Historiker, sondern als Aktivist, das in der Gegenwart engagiert ist und etwas für unsere Zukunft in Palästina und Israel machen möchte.
02:32Es ist mir eine besondere Freude, jetzt nach Gidon sprechen zu dürfen, denn nicht zuletzt unter vielen anderen guten Taten hat er auch für meine eigene Freilassung als Kriegdienstverweigerer einiges getan vor 30 Jahren.
02:45Und sicherlich ist es eine besondere Ehre, nach Mirej zu sprechen, die uns alle in Israel und Palästina eine große Inspiration ist, nicht zuletzt durch ihre Teilnahme an der mutigen Aktion bei dem Versuch, die Blockade in Gaza zu durchbrechen. Da bin ich ihr immer, immer sehr, sehr dankbar.
03:14Mordechai wird zwar künstlich isoliert von anderen Menschen, es wird ihm verweigert, das Grundrecht richtig mit anderen Menschen, nicht nur in der politischen Öffentlichkeit, sondern überhaupt wirklich seine Meinung zu äußern und mit anderen Menschen zu sprechen.
03:33Aber man darf ihn nicht isoliert betrachten. Man musste Mordechai Wanonu, das, was er getan hat, das, wofür er steht, im Kontext der israelischen Gesellschaft sehen. Und er bleibt für viele, die nie ein Wort mit ihm gewechselt haben, auch inspirierend und wichtig.
04:03Wir sind ein Element der gemeinsamen, gewaltlosen, arabisch-jüdischen, israelisch-palästinensischen Aktion in der Westbank. Als wir damit begonnen haben, stammte Teil der Kerngruppe der Gründer aus jungen Leuten, die zwei Jahre davor, 1988, den großen Versuch gemacht haben, eine Petition für Mordechai zu organisieren, zusammen mit Gidon und anderen, nachdem er schon zwölf Jahre in Haft gesessen hat.
04:31Wir haben gehofft, dass zum Feier des 50-jährigen Bestehens von Israel doch diese großzügige Tat gemacht werden kann, dass Mordechai doch freigelassen werden kann, 1998. Das ist nicht geschehen.
04:47Aber die kleine Gruppe, die sich da zusammengetan hat, hat maßgeblich an der Gründung von Daesh und einem großen Versuch, gemeinsam, ungewaltlos gegen die Besatzung was zu machen, da waren sie alle drin.
05:01Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen und drei lokale Kontexte, drei Kontexte für die Aktion, für die Bedeutung dessen, was Mordechai gemacht hat, kurz zu skizzieren.
05:20Und zuerst zu seiner Herkunft. Ja, zur Herkunft. Auch wenn man von universalen Werten spricht, soll man Menschen in ihrem sozialen Kontexten und mit ihrer Kultur wirklich betrachten.
05:33Und die Tatsache, dass Mordechai ein marokkanischer Jude ist, dass er zu der diskriminierten Gruppe in Israel gehört, dass er als orientalischer Jude wirklich seine Stimme erhoben hat, gegen Atomwaffen, gegen eine Regierung, die das Leben der eigenen Bürger in Gefahr bringt, das ist für mich und für viele soziale Aktivisten besonders bezeichnend.
05:57Denn Mordechai gehört nicht zu der Schicht in Israel, die sich ganz gern als aufgeklärt, westlich und zivilisiert definiert und es ist auch oft im Ausland, dass orientalische Juden als orientalisch mit rassistischen Klischees beschrieben werden, sie gelten als Fanatiker, als Feinde des Friedens.
06:21Es stimmt schon, dass Juden aus der ganzen arabischen Welt durch die Regierung, durch alle israelische Regierungen als Schutzmauer, als menschliche Schutzmauer benutzt worden sind, wo sie eigentlich die großen Vermittler zwischen Israel und der arabischen Welt sein können. Das stimmt allerdings.
06:43Mordechai Wanonu zeigt uns aber, dass die großen Werte und die Menschenrechte kein Alleinbesitz irgendeiner Gruppe in der Mensch sind, keine einzigen Religionen, keine einzigen ethnischen Gruppen und dass aus der Partikularität heraus, aus der eigenen Kultur, aus der eigenen Diskriminierung, man eine klare Stimme erheben kann für Menschenrechte. Das ist großartig, das ist wichtig.
07:14Die israelische Gesellschaft wie andere Gesellschaften besteht nicht aus einer kleinen Minderheit aufgeklärter Menschen mit Privilegien und Fanatiker, die einfach ohne Verstand und Einsicht sich immer eingesetzt werden kann gegen andere Minderheiten und gegen ihre Brüder.
07:35Wenn wir da was ändern wollen, ist Mordechai Wanonu gerade für uns einer, der mit dieser Teilung und mit diesen rassistischen Klischees wirklich bricht.
07:45Zweitens sollte man vielleicht das, was Mordechai getan hat, in der Landschaft Israels wirklich sehen. Und damit meine ich vor allem die Landschaft des Negev, der Wüste, die mehr als die Hälfte der Gesamtfläche von Israel eigentlich darstellt.
08:09Und man sollte nicht nur im Negev den Nuklearreaktor in Dimona sehen. Umherum sollte man wirklich die Landschaft der Negev sehen. Man soll die israelische Peripherie sehen, sehr oft orientalische Juden in den kleinen Städten in den 50er Jahre dahingebracht, immer noch diskriminiert, mit wenigem Zugang zu Bildung, soziale Chancen der sozialen Mobilität.
08:34Umherum in dieser Wüste sollte man auch sehen, wie viele militärische Basen, sagt man Basen auf Deutsch, immer noch entstehen, riesige militärische Basen, sowohl israelische als auch amerikanische Basen auf diesem Land entstehen immer noch und drängen und verdrängen die anderen Bewohner des Negevs.
08:55Man sollte wirklich sehen, also vor Augen das Bild der beduinischen Bewohner von Wadinam, die muss man sich vorstellen, sie leben in einer verseuchten Region. Wir wissen immer noch nicht, wo Israel das atomare Müll deponiert, aber wir wissen schon, dass die beduinischen Bewohner von Wadinam mitten im Negev wirklich in einer verseuchten Region leben.
09:19Umzingelt von militärischen Basen, wo mit Waffen experimentiert werden, das ist das wirkliche Bild der Wüste des Negevs.
09:29Und in dieser Wüste leben immer noch 200.000 israelischer Bürger beduinischer Herkunft, 200.000 der ursprünglichen Einwohner des Negev und sie werden enteignet. Zum ersten Mal sind sie Anfang der 50er Jahre enteignet worden, zum zweiten Mal in den späten 70er Jahren und heutzutage stehen sie vor der letzten und großen Welle der Enteignung in ihrer Geschichte.
09:56Eines der markantesten Beispiele ist das beduinische Dorf al-Araqib, das zum siebten Mal demoliert worden ist. Wir stehen da, wir sind da mit den Menschen, wenn die Bulldozer und Polizei kommen und diese Wüste, die wirklich erblühen kann, diese Wüste kann nur erblühen, wenn man diese Region neu aufbaut nach universellen Prinzipien von Gerechtigkeit, für die Mordechai war nun noch stehen.
10:26Man spricht heutzutage in der Politikwissenschaft von Deep State. Das ist ein guter Begriff, es wurde für die Türkei gebraucht, es ist ein Begriff, was man für Israel auch gut gebrauchen kann.
10:43Mit Deep State, tiefe Stadt, ist nicht nur das Establishment gemeint, sondern wirklich dieser tiefe Kern des Establishment. Die demokratische Kulisse wird beibehalten, dahinter aber stehen tiefe Kräfte. Sie bleiben da, diese Beamten, diese Menschen, auch nach den Wahlen, vor den Wahlen, die bleiben und steuern die Politik.
11:06Und in Israel haben wir auch, trotz demokratischer Rechte, um die wir immer kämpfen, gibt es auch eine solche Deep State. Es ist diese Deep State, die Mordechai Wanunu nie verziehen hat, dass er die Wahrheit gesagt hat.
11:21Und aus diesem Deep State heraus kam damals auch der Befehl, Mordechai Wanunu zu entführen. Und es ist gegen diesen Deep State, dass wir immer noch kämpfen. Ein Vertreter dieses Deep States ist die Person, die zu Recht als Architekt des israelischen Atomarprogramms gilt, der wirkliche Architekt dieses Programms.
11:48Der Architekt dieses Programms ist auch derjenige, der für die großen Pläne für die scheinbare Entwicklung des Negevs verantwortlich ist und nie zur Rechenschaft gezogen worden ist.
12:00Der ist derjenige, der 2003 und 2004 plädiert hat, den Negev zu judaisieren und dadurch zu entwickeln, dass die Beduiner wirklich halbwegs verschwinden. Und das ist, wie Gideon bereits erwähnt hat, der heutige Staatspräsident von Israel, Shimon Peres, ebenfalls ein Friedensnobelpreisträger.
12:22Es ist deshalb nur gerecht heute, wenn der Mordechai Wanunu den Preis verliehen wird. Das ist die beste Antwort auf diese Heuchelei und eine Maß an Gerechtigkeit, wenn Shimon Peres immer noch als großer Held der Frieden gefeiert wird, während Mordechai Wanunu im Tel Aviv isoliert und unter unakzeptablen Bedingungen steht.
12:52Ein demokratisches Land kann sich nicht erlauben, ein Deep State aufrechtzuerhalten.
13:04Und wenn ich noch ein Wort sagen kann, es ist oft vor allem im deutschen Kontext davon die Rede, wie kann das doch sein, dass ein Land der Überlebenden es sich erlaubt, nicht nur Mordechai so zu behandeln, sondern auch Menschenrechte so zu verletzen.
13:23Diese große Frage ist immer noch eine gute Frage, sicherlich für mich, die auch aus einer solchen Familie kommt. Dennoch muss man doch daran denken, dass Konzentrationslager nicht die beste Schule für Humanität sind und sind es nie gewesen.
13:47Demokratie und Menschenrechte wachsen nicht durch solche Erziehungsmaßnahmen, wie die Amerikaner jetzt in Afghanistan und Irak gut hoffentlich lernen, mit einem hohen Preis für viele.
14:02Ich möchte zuletzt noch etwas sagen zur Gegenwart, zur Relevanz dessen, was Mordechai Wanunu gemacht hat für unsere Fragen heute um Israel. Und da geht es wirklich darum, heutzutage, ob wir etwas sagen können gegen Kriegspläne und ob etwas aus Israel ausgesagt werden kann, wenn von Krieg gegen Iran gesprochen wird.
14:27Ich habe, muss ich sagen, keine Sympathie für die iranische Regierung und darum geht es nicht. Ich habe keine Regierung für die Verachtung der Menschenrechte und keine Regierung für ihr atomares Programm.
14:41Aber davon zu sprechen, dass Iran eine große Gefahr darstellt, während wir wissen, dass Israel zumindest 400 atomare Waffen im Besitz hat. Wenn wir jetzt wirklich wissen, erst wirklich wissen, wie nah wir waren im Oktober 1973 während des Yom Kippur-Kriegs, wie nah wir waren an diesem schrecklichen Punkt, wo von atomaren Waffen gebraucht werden.
15:08Wir wissen jetzt, dass die Regierenden in Israel so panisch gewesen sind am 6. und am 7. Oktober 1973, dass sie schon sich überlegt haben, ob sie wirklich zu Waffen greifen.
15:19Diese Verantwortung ist keinem zuzumuten und die einzige Antwort besteht darin, dass der ganze Nahosten als friedliche Region mit einer gewissen Gerechtigkeit eine Alternative darstellt für atomare Waffen jeglicher Art und auch für chemische und biologische Waffen, die in Israel produziert werden.
15:41Wir haben wirklich eine große Frage, die uns Mordechai Wanunu stellt. Ob Israel als Festung im arabischen Nahen Osten leben wird, mit der Behauptung, als Einzeldemokratie, atomare Demokratie dazustehen und während die Palästinenser die Grundrechte verweigert werden, oder ob wir wirklich zusammenleben im Nahen Osten.
16:03Das heißt, entweder haben wir eine gemeinsame, gerechtes, friedliche Zukunft oder wir haben keine. Das habe ich von meiner Mutter gelernt und ich glaube, dass wir eine Zukunft haben und wir sollten etwas daran bauen. Danke.
16:33Applaus

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